Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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05OKT2020
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Alexander der Große und Julius Caesar, Leonardo da Vinci und Vincent van Gogh - sie gehören zu den prominentesten Epileptikern der Geschichte.

Der heutige „Tag der Epilepsie“ erinnert daran, dass gegenwärtig in Deutschland gut 600.000 Menschen mit dieser neurologischen Erkrankung leben müssen. Gott sei Dank lässt sich die Epilepsie gut behandeln. Dennoch sind viele verunsichert, wenn sie mit der früher „Fallsucht“ genannten Krankheit in Berührung kommen.

Das war schon in biblischen Zeiten so. Der Evangelist Markus erzählt dazu eine bemerkenswerte Geschichte (Mk 9,14-29). Da bittet ein Mann die Jünger Jesu um Hilfe. Sein Sohn leidet an Epilepsie. Aber sie können dem Jungen nicht helfen. Da wendet sich der Vater direkt an Jesus. Noch bevor der etwas tun kann, erleidet der Junge einen Anfall. Verzweifelt bittet der Vater: „Wenn Du kannst, hilf uns; hab Mitleid mit uns!“Jesus reagiert ungehalten: „Wenn Du kannst? Alles kann, wer glaubt.“Darauf der Vater: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“

Danach macht Jesus den Jungen wieder gesund.

Die Pointe der Geschichte ist aber nicht die Krankenheilung. Sie ist nur eine von vielen, die im Neuen Testament erzählt werden. Beeindruckender finde ich die Person des Vaters. Der Mann macht keinen Hehl aus seinem Zweifel, ob Jesus dem Sohn wirklich helfen kann. Ja, er äußert offen seine Skepsis. Er möchte gerne an die Wunderkraft Jesu glauben, aber er bekennt gleichzeitig seinen „Unglauben“.

In genau diesem Spannungsverhältnis leben viele, die an Jesus glauben. Auch ich kann mich darin gut wiedererkennen. Der Zweifel gehört zum Glauben. Er bewahrt davor, die eigenen Überzeugungen leichtfertig oder auch allzu selbstsicher zu vertreten. Wenn ich meinen Glauben kritisch hinterfrage, dann kann ich auch die Skepsis meiner Mitmenschen besser verstehen. Papst Benedikt XVI. sah darin eine Chance: „Vielleicht“, so schrieb er einmal, „könnte gerade der Zweifel (…) zum Ort der Kommunikation werden.“1

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9,24)  

 

1: aus: Ratzinger, Joseph: Einführung in das Christentum. München, 1968, S.24

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31808
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