SWR2 Wort zum Tag

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03OKT2020
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„Ut unum sint“, auf dass sie eins seien, so nannte Papst Johannes Paul II 1995 sein Lehrschreiben über die Ökumene. Die Trennung der christlichen Konfessionen ist ein Zeichen der Schwäche und was für ein kraftvolles Signal wäre es, hier zur Einheit zu gelangen.

Einheit ist es auch, was wir heute in Deutschland feiern – im Gedenken an den 3.10.1990, dem Tag also vor 30 Jahren, an dem Ost- und Westdeutschland wieder zusammenkamen. Die Mauer und der eiserne Vorhang wurden zwar abgebaut und doch ist bis heute leider zurecht von der Mauer in den Köpfen die Rede. Es ist längst Zeit, auch diese endlich verschwinden zu lassen!

Warum ist es nur so schwer, Einheit zu leben, aufeinander zuzugehen?
Es scheint tief in unserer menschlichen DNA verankert zu sein, dass wir auf unsere eigene Gruppe, unseren Clan, Stamm oder diejenigen aus unserer Region und Sprache zurückgreifen, wenn wir eine sichere Gemeinschaft, eine Kollektiv zum Wohlfühlen suchen. Vor allem dann, wenn es kompliziert, schwierig und gefährlich wird. So alt wie die Menschheit ist dieses Prinzip und es scheint tatsächlich aus längst vergangenen Zeiten zu stammen, als es noch zum Alltag gehörte, von wilden Tieren und von Raubzügen fremder Horden bedroht zu sein. Doch wenn man sich zurückzieht in die eigene Gruppe ist der Schritt leider nicht mehr weit, die anderen als minderwertig, dumm oder arrogant zu brandmarken. Aus Bürger unseres wiedervereinten Landes wurden Wessis und Ossis, aus Belgiern werden Flamen und Wallonen und die Katholiken und Protestanten in Nordirland könnten bereit sein, die Waffen wieder herauszuholen, wenn der Brexit die harte Grenze zur Republik Irland wiedererrichtet.

Dagegen spricht die alte englische Weisheit „Unity is Strength“, gemeinsam sind wir stark. Der Brexit ist aber genau das Gegenteil: eine Abkehr von der Einheit, von einer Union, die einst verfeindete Völker zusammengebracht hat. Viele Gründe gibt es dafür, die wohl darin begründet sind, dass Menschen der Vergangenheit nachtrauern, Angst haben, ihre Identität zu verlieren. Aber Gott hat uns Menschen auch einen Verstand gegeben, der uns helfen kann, innezuhalten und uns leiten zu lassen von Vernunft und Solidarität.

Im biblischen Epheserbrief lesen wir: "Setzt alles daran, dass die Einheit, wie sie der Geist Gottes schenkt, bestehen bleibt. Sein Friede verbindet euch miteinander.“ Hier geht der Autor also davon aus, dass der Geist Gottes die Einheit längst geschenkt hat und wir sie bewahren sollen – ein Gegengewicht zur Idee, dass Menschen in feindlichen Gruppen leben und Einheit erst mühsam herstellen müssen.

Das erinnert mich daran, wie es in den Jahrzehnten nach den Weltkriegen immer mehr gelang, Staaten und Menschen zusammenzuführen. Der Völkerbund wurde gegründet, später die UNO und die Europäische Union. Es macht mich traurig und wütend, wenn dieses Rad heute immer mehr zurückgedreht wird durch Parolen wie „Amerika first“, sich nationale Egoismen anscheinend wie Lauffeuer auf dem Globus verbreiten. Von den sogenannten „Rechtspopulisten“ in fast jedem Land Europas bis zu den Staatenlenkern in den USA, den Philippinen, Russlands oder Brasiliens.

Ich will mich nicht mit dem aktuellen Zustand zufrieden geben – die globalen Herausforderungen sind viel zu groß und grenzenlos und können nur gemeinsam und global angegangen werden!

Zum Glück gibt es viele Menschen, die auch so denken und auch keine Lust auf dieses ständige Aus- und Abgrenzen haben. Es ist nicht nur schädlich sondern zerstört auch die Freude am Leben. Es macht so viel mehr Spaß, als unterschiedliche Kulturen und mit vielfältigen Prägungen zusammen zu kommen und zu spüren: Wir atmen alle die gleiche Luft, wir alle sind Menschen, vom gleichen Schöpfer gemacht. Wir können uns kennenlernen, immer besser verstehen, uns gegenseitig bereichern – trotz oder gerade wegen der kulturellen Unterschiede.

Zurück zum dritten Oktober: Ut unum sint möchte ich heute auch in unserem Land sagen – auf dass wir eins seien, wir Deutschen und die restlichen Mauern in unsern Köpfen endlich einreißen mögen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31806
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