Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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25SEP2020
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„Der Zweite ist der erste Verlierer.“ Den Spruch habe ich wieder mal bei der Übertragung der Tour de France in diesem Jahr gehört. Da haben sich die Radfahrer über fast 200 Kilometer Berge rauf und runter gequält. Und am Schluss gewinnt doch nur einer. Und der zweite, der nur eine Sekunde später ins Ziel kommt, der kriegt nur Mitleid.

Meistens kenne ich auch nur die Namen der Gewinnerinnen und Gewinner, die anderen vergesse ich schnell. Aber ich kenne auch selbst das Gefühl, nur Zweiter oder sogar Letzter zu sein. Da kriegte jemand den Job, den ich eigentlich gerne gehabt hätte. Da war immer ein anderer in der Schule besser. Da wird einer mehr beachtet.

Zweiter sein ist weder lustig noch erstrebenswert. Aber, und da kommt ein großes Aber, es wird immer Zweite geben. Ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn jeder Mensch mit all den Eigenschaften ausgestattet werden könnte, die er will? Wenn ich also der beste Schwimmer der Welt sein will. Oder der beste Koch. Das Problem: Vielleicht gibt es irgendwo jemanden, der sich genau das auch wünscht. Und dann wird einer von uns beiden Zweiter sein – obwohl das nicht so geplant war.

Was ich sagen will: Es muss immer Zweite oder Dritte oder Letzte geben. Und wenn das so ist, dann muss ich lernen, damit umzugehen.

Verlieren ist mit dem Wort »los« verwandt. Verlieren heißt, dass etwas abgelöst, abgeschnitten, losgelöst ist. Das bringt mich auf eine wichtige Spur. Die Kunst im Umgang mit dem Verlieren ist vielleicht auch die: Dass ich den Drang, immer Sieger zu sein, loslassen kann. Dass ich mich davon löse, der Erste sein zu müssen. Weil, und das finde ich zentrale, mein Wert als Menschen im Letzten nicht davon abhängt, ob ich gewinne oder nicht.

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