SWR2 Wort zum Tag

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21SEP2020
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„Bei uns macht einfach jeder das, was er kann!“ Eine Bekannte von mir spielt voller Begeisterung in einer inklusiven Theatergruppe. Obwohl sie mit Job und anderen Ehrenämtern wirklich genug zu tun hat, lässt sie sich immer wieder gerne auf die zeitintensiven Proben ein. Und sie schwärmt von der besonderen Stimmung im Ensemble, in dem Menschen mit verschiedenen Behinderungen zusammen Theater spielen. Sehr eindrückliche Inszenierungen entstehen dabei – das habe ich auch schon erleben dürfen.

 „Jeder und jede hat Fähigkeiten – und die werden genutzt“, so sieht sie, die selbst auf den Rollstuhl angewiesen ist, das Geheimnis ihrer Theaterarbeit. „Die einen übernehmen längere Textpassagen, andere die Stellen, an denen Beweglichkeit gefragt ist.“ Und sie meint: „Eigentlich würde ich mir wünschen, dass das in unserer Gesellschaft insgesamt mehr so läuft. Dass zuerst die Fähigkeiten gesehen werden. Aber gerade als Mensch mit Behinderung erlebe ist das noch oft anders. Oft wird von Positiv, also von den Begabungen her zu denken, das leuchtet eigentlich ein. Das ist eine Haltung, die schon in der Bibel empfohlen wird. Aber anscheinend müssen wir sie uns immer wieder neu erarbeiten. Im 1. Petrusbrief der Bibel ermahnt der Verfasser die christlichen Gemeinden in Kleinasien, an die er schreibt: „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat.“ Vermutlich hatte der Absender nicht so unterschiedliche Menschen vor Augen wie die, die in der inklusiven Theatergruppe zusammenarbeiten. Aber auch er hat gesehen: Es gibt Menschen in den Gemeinden, die besser darin sind, mitreißend von Gottes Liebe zu erzählen – und andere, die sie lieber praktisch werden lassen. Beides hat den gleichen Wert. Aber es wird besser, wenn jeder und jede das übernimmt, was er oder sie gut und gerne macht.

Schade, dass es heute immer noch so schwerfällt, diese uralte Erkenntnis in die Praxis umzusetzen. Dass oft immer noch nicht gesehen wird, welche Begabungen Menschen haben. Und schade auch, dass verschiedene Fähigkeit und Tätigkeiten weiterhin so extrem unterschiedlich wertgeschätzt werden – ideell und finanziell.

 „Bei uns macht jeder das, was er kann!“ Für mich ist die inklusive Theatergruppe ein Vorbild, wie es zumindest im Kleinen anders sein kann. Und ich denke: Auch ich kann dazu beitragen. Wenn ich selbst so oft wie möglich einfach das tue, was ich wirklich kann und was mir Freude macht – unabhängig davon, welches Ansehen diese Tätigkeit genießt. Und wenn ich versuche, bei anderen zuerst die Fähigkeiten zu sehen, die sie haben – und nicht die Defizite. Denn wir alle sind Könnerinnen und Könner – auf je eigene Weise.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31702
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