SWR4 Abendgedanken

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21SEP2020
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„Mama, können wir Oma besuchen?“ Wie oft haben mich meine Kinder das während des Lockdowns gefragt. Großmütter und Großväter gehören seit Monaten zur Risikogruppe. Eine Zeitlang waren deshalb die Kontakte zu alten Menschen rigoros eingeschränkt. Jüngere haben den Älteren angeboten, für sie einzukaufen. Aber viele Ältere wollten gar nicht so überbehütet werden. Es hat sie genervt.

Mich hat das ins Grübeln gebracht. Und ich habe meinen 11.Klässlern im Religionsunterricht daraus eine Aufgabe gebastelt: Sie sollten sich überlegen, ob sie die gesunde, rüstige, aber 90jährige Oma zu ihrem Geburtstag besuchen würden oder nicht, wenn diese es sich ausdrücklich wünscht. Vielleicht erlebt sie ja das nächste Geburtstagsfest gar nicht mehr. Dann lieber jetzt noch mal mit allen feiern.

Ich war gespannt; Wie würden sich meine Schüler und Schülerinnen entscheiden? Wegbleiben, aus Sorge um die Gesundheit der Oma, gerade jetzt, nach den Sommerferien, wo alle aus dem Urlaub zurückkommen? Aus Fürsorge, aus Liebe Abstand halten? Oder doch das Selbstbestimmungsrecht der Frau akzeptieren: Sie weiß um die Gefahr. Wenn sie dennoch will, dass wir kommen, dann kommen wir auch.

Meine Schüler und Schülerinnen waren gespalten. Manche haben mit dem Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren“ argumentiert: Das bedeute ja wohl, dass man den Willen der Eltern und Großeltern akzeptieren soll. Und auch die von Gott geschenkte Menschenwürde spräche dafür, die Freiheit eines jeden Menschen – auch eines alten Menschen – zu akzeptieren.

Andere haben sich anders entschieden: Für sie ist es ein Zeichen von Liebe, von Sorge für die geliebte Oma, dass Sie sie nicht besuchen. „Du sollst nicht töten!“, hat ein Schüler dazu zur Begründung geschrieben. Ein weiteres der zehn Gebote, das für ihn aber genau in die andere Richtung weist.

Was ist nun richtig? Ich kann es Ihnen nicht sagen. Nur eins weiß ich sicher: Jesus war ein Menschenfreud. Er wollte, dass wir einander in Liebe und Respekt begegnen. Dass wir den Anderen, unseren Nächsten als Mensch achten. Und dann so handeln, wie wir es aus dieser Liebe heraus für richtig halten. Nicht die Angst soll unser Herz beherrschen. Nicht die Panik. Oder die Wut. Sondern die Liebe. Und dann kann es wohl nicht ganz falsch sein, was wir tun…

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