SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

04SEP2020
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„Wer am lautesten schreit, wird am meisten gehört“ Das hat eine Person gesagt, die in ihrem Leben schon oft nicht gehört wurde. Diese Person ist transsexuell, schwarz und kommt aus einer Arbeiterschicht. Sie erzählt davon, wie schwer es ist, in einer so lauten und schnellen Gesellschaft noch etwas zu verändern; vor allem dann, wenn man einer Minderheit angehört und kaum Gehör bekommt. Sie erzählt, dass sie aufgrund ihrer Sexualität, und ihrer Hautfarbe und Herkunft oft eingeschüchtert war und es ihr schwer fiel, mutig, laut und stark zu sein. Es fiel ihr schwer, so zu werden, wie sie heute ist. Deshalb fordert sie andere Menschen dazu auf, im Alltag auch auf die leisen und stummen Stimmen zu hören. Sie sagt: Wenn wir wirklich helfen wollen, wenn wir wirklich etwas verändern wollen, dann müssen wir aufmerksam zuhören, bevor wir laut werden. Denn oft wird Hilfe und Unterstützung genau dort am meisten gebraucht, wo Menschen schweigen. Wo leise geweint, stumm gelitten und still getrauert wird.

Diese Worte gehen mir unter die Haut. Ich schäme mich auch ein bisschen. Denn ich selbst bin eine weiße, heterosexuelle Akademikerin, die schon immer sehr laut ist, wenn sie etwas stört. Und weil ich mich dabei erwischt fühle, dass auch ich oft in meinem Alltag diese leisen Stimmen überhöre. Das fängt schon dabei an, dass ich mich zu Hause erst mal um die Tochter kümmer, die grad lauter nach meiner Aufmerksamkeit verlangt und dabei die andere übersehe. Oder mich als Lehrerin oft mit denen auseinandersetze, die mit vielen Sprachbeiträgen oder lauten Störungen aufmerksam auf sich machen; und ich dabei die aus dem Blick verliere, die eigentlich meine Unterstützung brauchen. Wahrscheinlich geht bei mir im Alltag oft genug jemand unter, der oder *die meine Hilfe bräuchte, weil ich nicht aufmerksam hinhöre und viel zu schnell oder laut bin.

„Wer am lautesten schreit, wird am meisten gehört“ So ist das oft. In den sozialen Medien, in der Politik, und eben auch bei mir zu Hause oder im Job. Dabei ist es so wichtig, auch dort genau hinzuhören, wo es nicht ganz so laut ist. Genau das will ich umsetzen. Ich will versuchen, an manchen Stellen mal weniger selbst zu sprechen, sondern mehr zuzuhören. Ich will versuchen, auch die Menschen bewusster in den Blick zu nehmen, die gerade nicht sprechen; und das wahrnehmen, was sie gerade nicht sagen, aber doch dringend gehört werden sollte. Damit ich genau die hören kann, die es gerade am meisten brauchen.

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