Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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01SEP2020
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Kennen Sie die Geschichte vom Schneider Böck? „Max und Moritz, gar nicht träge, sägen heimlich mit der Säge, Ritzeratze voller Tücke, in die Brücke eine Lücke.“ Als dann der Schneider Böck die beiden Übeltäter über die kleine Holzbrücke verfolgen will, kommt es, wie es kommen muss: Die Brücke bricht unter der Belastung zusammen und reißt den armen Schneider mit sich. Das Heimtückische an der Aktion ist, dass man die Sabotage auf den ersten Blick gar nicht sehen konnte. Die Brücke hätte vielleicht noch Jahre so dastehen können – solange sie nicht betreten und belastet wird.

Wie dem armen Schneider Böck geht es manchem Menschen, wenn ihm unerwartet Leid widerfährt. Alles bricht unter den Füßen weg. Es bleiben nur noch Verzweiflung, Ohnmacht und Wut angesichts der eigenen Ohnmacht. Und das betrifft auch den Glauben. Irgendwie hatte sich die Idee im Kopf eingenistet, Gott sei dafür zuständig, dass es mir persönlich immer gut geht. Aber das ist eine gefährliche Vereinfachung. Ja mehr noch, es ist geradezu Sabotage am Glauben. Wenn es nämlich anders kommt und auch ich Leid ertragen muss, bricht alles zusammen. Ich muss nicht nur das Leid verarbeiten, sondern zusätzlich verliere ich auch die Beziehung zu Gott. Ist mein derzeitiges Ergehen nicht der Beweis, dass es Gott gar nicht gibt oder er zumindest nicht der liebende Vater ist, als der er oft beschrieben wird?

Ob unser Glaube belastbar und tragfähig ist, zeigt sich, wenn er sich bewähren muss. Trägt mich das Wissen um Gottes Liebe und Gegenwart auch jetzt, oder passt auf einmal hinten und vorne nichts mehr zusammen? Bedenken wir: Der Glaube ist keine Weltanschauung und kein System von Überzeugungen und Dogmen. Er ist eine Verbundenheit mit Gott, die dieser auch dann aufrechterhält, wenn wir ihn nicht mehr sehen und verstehen. Ein solcher Glaube wächst über viele Jahre im alltäglichen Leben. Dabei lässt Gott in uns die Gewissheit reifen, dass er da ist und trotz allem die Fäden in der Hand hält. Das ist eine schöne Erfahrung, wenn es uns gut geht. In der Krise und im Leid allerdings ist sie weit mehr: Sie ist unsere Rettung. Das Erstaunliche ist, dass man diese Erfahrung nicht etwa trotz des Leids, sondern gerade im Leid machen kann, wenn uns alles Eigene aus den Händen geschlagen wird, wie jetzt in der Corona-Krise. Mir fällt dazu Hiob ein. Am Ende seiner Leiden zieht er Bilanz und sagt zu Gott: „Ich kannte dich ja nur vom Hörensagen; jetzt aber hat mein Auge dich geschaut“ (Hiob 42,5; GNB). Das möchte ich auch einmal sagen können.

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