SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

30AUG2020
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Jetzt in der Ferienzeit mal weniger zu tun haben: das ist schön! Aber immer untätig sein, das kann ziemlich bedrückend sein, stelle ich mir vor.

Die Bibel erzählt von einer Frau, die war 18 Jahre lang verkrümmt und konnte nicht aufrecht stehen. Und niemand konnte herausfinden, was ihr gefehlt hat.

Ich glaube, das ist wirklich zum Verrücktwerden: Wie mag sich das anfühlen, wenn man praktisch nur noch nach unten gucken kann. Der Horizont wird sehr eng. Wer nur nach unten gucken muss, der merkt manchmal gar nicht mehr, wieviel Himmel über ihm ist.

Manchmal erzählen mir alte Menschen, dass es ihnen so geht. Sie können so vieles nicht mehr! Die Kinder haben ihnen das Autofahren verboten, das Hörgerät funktioniert nicht richtig und sie reagieren manchmal komisch, weil sie etwas falsch verstanden haben. Sie waren es ein Leben lang gewohnt, für sich selbst und für andere zu sorgen und nun müssen sie immer jemanden fragen, wenn sie was brauchen. Manche werden dann richtig grantig. Und manche einfach nur sehr, sehr traurig und ziehen sich zurück.  Immer weniger tun können, das bedrückt einen.

Die verkrümmte Frau, von der die Bibel erzählt, hat es immerhin noch bis zur Synagoge geschafft, sie ist also gewissermaßen „sonntags in die Kirche gegangen“. Mich erinnert das an manche Kirchgängerinnen bei uns in der Kirche. Wie müssen die sich manchmal einschränken. Und trotzdem sind sie so wichtig. Die sitzen nämlich da und beten. Sie nehmen vielleicht  ihre Enkelkinder mit ins Gebet, die vor lauter homeoffice und Kinderbetreuung nur noch gestresst sind und zu nichts mehr Zeit haben. Und wenn die Pfarrerin für die Flüchtlinge betet, dann wissen sie, wie sich das anfühlt, weil sie früher selber mal aus ihrer Heimat vertrieben worden sind. Diese alten Damen sind früher sicher auch einmal starke, tatkräftige Frauen gewesen, die ganz viel geschafft haben.

Und genau das hat Jesus damals auch gesehen, als er die verkrümmte Frau getroffen hat.  Nicht nur das „alte Mütterchen“ hat er gesehen, glaube ich, nicht nur „ein armes Menschenkind“, sondern einen Menschen mit seiner ganzen Lebensgeschichte. „Sei frei von deiner Krankheit!“ hat Jesus zu dieser Frau gesagt. Und da hat sie sich wirklich aufgerichtet. Er hat ihr diese Last abgenommen. 

Wunderbar, finde ich!  Ein freier, aufrechter Mensch, der da steht und gerade steht für sein Leben. Ein Mensch, der seine Frau steht. Seinen Mann steht. Ein Mensch, der sich nicht verbiegen lässt durch  Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle. Ein Mensch, der sich nicht schämt, dass er nicht mehr so kann wie früher, aber mit großem Selbstbewusstsein manchmal auch sagen kann: Danke, das kann ich alleine. Ein Mensch, der sich so sehen kann, wie Gott ihn sieht: Erlöst. Und befreit.

 

Mich kann das auch aufrichten, wenn jemand mich so sieht, glaube ich und denke dankbar an die Menschen, die mir mehr zugetraut haben als ich mir selbst. Früher waren das manchmal meine Lehrer. Was haben die mich manchmal vor Aufgaben gestellt. Manchmal hat mich das richtig genervt. Aber im Nachhinein war ich ganz stolz auf mich, dass ich es geschafft habe. Ich erinnere mich daran, wie mich ein Bekannter gefragt hat, ob ich für ein bestimmtes Amt kandidieren würde. Zuerst habe ich gedacht: o nein, bitte nicht das auch noch. Aber dann hats mich auch gefreut und ich hab mir gedacht: Na gut, wenn der meint, dass ich das hinkriege, dann versuch ichs halt mal.

Ob ich das selber wohl auch hinkriege: jemanden aufrichten, weil ich ihm etwas zutraue?
etzt in der Corona-Zeit versuche ich eigentlich, gerade die Leute aus den sogenannten „Risikogruppen“ zu schonen, damit sie möglichst wenig unter Leute kommen und sich dort nicht anstecken. Ich bringe ihnen lieber etwas vorbei oder kaufe für sie ein. 

Aber vielleicht müsste ich ihnen mehr zutrauen „Lassen Sie die Leute doch, die sind sehr vernünftig und können gut auf sich selber aufpassen.“ Hat ein Bekannter zu mir gesagt. Das hat mir zu denken gegeben. Zuviel Fürsorglichkeit ist wohl auch nicht immer gut, die kann manchmal auch ziemlich klein machen und entmündigen.  Ich habs immerhin mit erwachsenen Menschen zu tun.

Es stimmt: Man wächst an seinen Aufgaben. Man wächst an dem, was andere einem zutrauen.Die verkrümmte Frau, von der die Bibel erzählt, ist daran gewachsen, dass Jesus sie aufgerichtet hat. Für ihn war diese Frau eine Tochter Abrahams und damit von ihrem Schöpfer zu etwas Größerem bestimmt, als mit krummem Rücken und gesenktem Blick durch die Welt zu laufen.

Für mich ein ermutigender Gedanke: Gott will seine Menschenh aufrecht sehen. Auch mit krummem Rücken und all den Päckchen, die wir mit uns herumschleppen will er uns aufrecht sehen. Auch ich bin für ihn mehr als das, was ich im Augenblick darstelle.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie gut aufgerichtet und mit geradem Rücken durch die neue Woche kommen. Genießen Sie die Ruhe und freuen Sie sich auf die neuen Aufgaben. Einen schönen Sonntag heute! Bleiben Sie behütet!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31570
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