SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Einfach alle Sprachen beherrschen. Das wär’s. Beim Griechen um die Ecke endlich »Guten Tag» mit der richtigen Aussprache rausbringen. In der Pizzeria nicht rumstottern, wenn ich auf Italienisch die Rigatoni bestelle, die mir so gut schmecken. Beim Asia-Laden noch einen kurzen Plausch mit der vietnamesischen Verkäuferin einschieben – natürlich in ihrer Muttersprache. Wunschträume. Ich spreche Deutsch mit rheinischem Einschlag, mehr schlecht als recht Englisch, Französisch nur mit Händen und Füßen.
Alle Sprachen beherrschen, das wär’s. Das wäre fast ein Zustand wie damals in Babel. Da gab es nur eine Sprache und alle verstanden sich, so erzählt es die Bibel. Das Elend der Menschen von Babel beginnt erst, als sie verlernen, miteinander zu sprechen. Als sie verlernen, auf andere zu hören, einander zuzuhören. Als sie ihren Turm bauen. Als sie sich voneinander abgrenzen. Denn der Turm ist ein mächtiges Symbol für Distanz. Der Turm ist die letzte Zuflucht auf einer Ritterburg, steht für Einsamkeit und Rückzug. Vom Turm aus lassen sich die Feinde sichten. Der Turm sorgt dafür, dass ich mich vom »anderen« unterscheiden kann. Wenn also Gott in Babel die Sprachen verwirrt, vollzieht er nur, was der Turm schon längst signalisiert: Dass sich die Menschen voneinander distanzieren.
Heute, am 21. Februar, feiert die UNESCO den »Internationalen Tag der Muttersprache«. Die UNESCO setzt sich für die Kultur in der Welt ein. Dazu gehört auch eine intensive Bildungsarbeit in der Dritten Welt, dazu gehören auch Alphabetisierungsprogramme. Die UNESCO fördert deshalb auch die regionalen Muttersprachen. Vertieft sie dadurch nicht aber die Gräben zwischen den Menschen? Müssen wir heute nicht eher Sprachbarrieren abbauen? Vielleicht sogar wieder eine Sprache finden, die alle sprechen?
Fakt ist: Es gibt kaum größere Grenzen zwischen den Menschen, als die Sprachgrenzen. Selbst ein paar Brocken in der Sprache des Gegenübers brechen das Eis, lassen aus Fremden Freunde werden. Fakt ist aber auch: Sprache zeigt, wer ich bin, zu wem ich gehöre. Gerade in vielen Ländern Afrikas oder Asiens wurden die einheimischen Sprachen, die Sprachen von Volksgruppen oder Clans durch die Kolonialmächte unterdrückt. In der Schulen gab es nur Englisch, Französisch oder etwa Spanisch. Mit dem »Internationalen Tag der Muttersprache« setzt sich die UNESCO für die Identität vieler Menschen ein. Ich finde das überfällig. Wie wichtig die Muttersprachen sind, hat ja auch die Katholische Kirche in ihrer Liturgiereform vor über vierzig Jahren entdeckt. Jetzt wurden nämlich endlich Gottesdienste in der Heimatsprache vieler Menschen möglich. Leben wie Glauben brauchen Identität. Die eigene Sprache gehört dazu. Denn heute wissen wir: Wer seinen Platz findet in der Welt, der tut sich leichter, auf andere zuzugehen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, Barrieren abzubauen. Muttersprachen helfen also die babylonische Sprachverwirrung zu überwinden.


https://www.kirche-im-swr.de/?m=3156
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