SWR2 Wort zum Tag

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Auf seinen Bildern ist vordergründig nur wenig zu sehen. Nur Farben, Farbflächen, Farbblöcke. Der lettische Künstler Mark Rothko gibt dem Betrachter bis heute Rätsel auf. Rothko starb bereits 1970, aber er ist aktuell wie nie. Ende 2007 wechselte sein Gemälde »White Center« für über 70 Millionen Dollar den Besitzer. 70 Millionen für einen schmalen Rand Orange und drei unterschiedlich breite Farbblöcke: unten ein großes Feld pink, darüber ein schmaler weißer Streifen, oben gelb.
Viele Gemälde Rothkos sind ganz schlicht gehalten. In Bildern wie »White Center« sind alle Gegenstände verschwunden. Dinge spielen keine Rolle. Damit provoziert Rothko eine Welt, in der vor allem Sachen zählen. Rothko malt eine innere Welt, seine Bilder berichten vom Rückzug.
Und so lesen sich seine Werke wie ein religiöses Statement. Denn auch die Religionen kennen den Rückzug. Mönche verlassen die Welt, ziehen in die Wüste, begeben sich in die Einsamkeit. Religiös motiviertes Fasten heißt immer auch: sich von Realitäten der Welt zu distanzieren. Und: Ein Gebet ist letztlich auch ein Rückzug, nämlich in das Gespräch mit Gott hinein. Solcher Rückzug, das erfahren viele Glaubende, zahlt sich aus: Er schenkt eine neue Sicht auf die eigenen Süchte und Sehnsüchte, schenkt neue Aufmerksamkeit für das, was im Alltag unbeachtet und selbstverständlich ist.
Rothkos Bilder illustrieren allerdings keinen Glauben. Sein Malen sinnt einzig über das Wesen und die Symbolik der Farben nach – ohne sie zu enträtseln. Aber auch hier sind Parallelen zur Religion möglich. Die Theologie kennt die Rede vom „Deus absconditus“, vom „verborgenen Gott“. Das heißt: An Gott kann ich mich nur annähern; Gott entzieht sich immer wieder.
Die Farbtafeln Rothkos können so sensibel machen. Sie laden gegen den Trend der Zeit zum langsamen Sehen ein. Langsames, tieferes Sehen, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Solch langsames Sehen ist auch eine wichtige Hausaufgabe für den Glauben. Denn Glauben heißt, mehr als die eine Wirklichkeit wahrzunehmen. Tiefer als nur auf die Oberfläche zu sehen. Und so neu das Staunen, das religiöse Staunen über die Welt zu lernen.


Mark Rothko. Retrospektive«, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München. 08.02.- 27.04.


https://www.kirche-im-swr.de/?m=3153
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