SWR3 Gedanken

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22AUG2020
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Die Wohnung von Julia – einer Freundin von mir – ist letztes Silvester komplett abgebrannt. Zum Glück wurde niemand verletzt. Aber ihre ganzen Möbel, die Klamotten, ihre Bücher, alles hinüber. Ich habe Julia gefragt, was sie denn am meisten vermisst aus ihrer alten Wohnung. Sie hat kurz überlegt und dann gesagt: „Ich vermisse nichts.“ Ich habe ihr das erst nicht geglaubt, aber sie hat das wirklich ernst gemeint. Sie vermisst nichts von den ganzen Sachen, die bei ihrem Wohnungsbrand draufgegangen sind.

Ich kann das absolut nicht nachvollziehen. In meiner Wohnung habe ich so viel rumstehen, was mir wichtig ist: Geschenke von Freunden, selbstgemachte Fotoalben oder alte Schallplatten. Wenn meine Wohnung von heut auf morgen abfackeln würde, würde ich die ganzen Sachen extrem vermissen. Nicht, weil das alles besonders viel wert ist, sondern weil so viele Erinnerungen damit verbunden sind. An ganz besondere Menschen oder an Geschichten, die ich mit anderen erlebt habe.

Ich bewundere Julia dafür, dass ihr Herz nicht so an Sachen hängt wie meins. Es kommt mir fast so vor, als wäre sie selbst nur zu Gast in ihrer eigenen Wohnung. Sie scheint einen gesunden Abstand zu den Sachen zu haben, die sie besitzt. Und ich hatte ich den Eindruck, das macht sie auch unabhängiger und gelassener. Ich finde es beeindruckend, dass sie das kann. Ich könnte das nicht, das weiß ich. Aber ich denke das ist auch okay, weil ich weiß ja auch: was mir wirklich am Herzen liegt sind nicht die Sachen an sich, sondern die Menschen und die Geschichten, die ich mit den Sachen verbinde.

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