SWR3 Gedanken

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16AUG2020
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Ich stehe beim Bäcker in der Bahnhofshalle in Freiburg. Der Mann vor mir gibt der Verkäuferin ein paar Münzen über die Ladentheke, aber sie gibt ihm gar nichts dafür, keine Brezel, kein Brötchen, nichts. Ich wundere mich schon, was da los ist. Da sagt die Verkäuferin: „Wow, das ging aber schnell!“ Der Mann strahlt sie stolz an und sagt: „Ja, ich habe zwar kein Geld, aber ich bin trotzdem reich.“ Mit einem Lächeln im Gesicht geht er aus der Bahnhofshalle. Dann setzt er sich vor den Bahnhofseingang und stellt einen Pappbecher vor sich auf. Jetzt kapiere ich, was da beim Bäcker los war. Die Verkäuferin hat dem Mann irgendwann vorher etwas verkauft, aber da hatte er nicht genug Geld dafür. Und jetzt erst hat er das Geld vorbeigebracht. Das war wahrscheinlich der Deal zwischen den beiden.

„Ich habe zwar kein Geld, aber ich bin trotzdem reich.“ Der Satz und wie der Mann dazu gelächelt hat, das geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Er hat das so überzeugt gesagt, dass er mich richtig neugierig gemacht hat, was ihn denn so reich macht: Ich vermute mal, es sind vielleicht seine Erfahrungen oder Geschichten, die er erlebt hat. Er scheint auch jemand zu sein, dem man vertrauen kann, sonst hätte die Verkäuferin ihm sicher nichts vorgestreckt. Und so wie er gelächelt hat, vermute ich, dass er viel Spaß daran hat, wenn er mit anderen in Kontakt kommt.

Der Mann hat mich beeindruckt und ich denke, er hat recht: Mich reich fühlen kann ich auch mit wenig Geld. Einfach, weil ich anderen viel geben kann: Vielleicht kein Geld, aber ein paar gute Worte dem, der sie gerade braucht. Oder ein Lächeln beim Vorbeigehen. Ich kann auch jemandem ein bisschen Mut machen in einer schwierigen Situation. Das kostet ja alles nichts. Und das Schöne an dieser Art von Reichtum ist: Je mehr ich davon verschenke, desto reicher werde ich.

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