SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

04AUG2020
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Versöhnung. Was sich hinter dem kleinen unscheinbaren Wort verbirgt, ist mir im Laufe meines Lebens immer wichtiger geworden. Weil ich verstanden habe: Ich kann mich streiten, heftig und hart. Aber wenn ganz am Ende keine Lösung steht, dann ist das schlecht. Wenn es dabei um ein sachliches Problem geht, und wir nicht einig werden, kann ich das meistens noch aushalten. Viel schlimmer ist, wenn ich mich mit einem anderen nicht einigen kann, und die Stimmung weiterhin schlecht ist, wenn wir uns gar aus dem Weg gehen, weil wir wütend aufeinander sind. Dann macht das alles, mein Leben überhaupt, dunkler. Ich will nicht, dass es so bleibt, aber ich bin wie gelähmt, unfähig, das Richtige zu tun, das helfen würde. Und allein, nun, da kann man sich eben auch nicht versöhnen. Es gehören immer zwei dazu. Umso schöner, wenn es gelingt, und eine echte Versöhnung zustande kommt, wenn wir wieder lachen können, uns in den Arm nehmen und freuen, dass es das gibt: sich streiten und sich versöhnen. Was für ein Glück! Was für eine Erlösung!

Dass Versöhnung so wirken kann, so befreiend, das brauche ich nicht nur für mich in meinen privaten Beziehungen. Ich bin fest davon überzeugt: Unsere ganze Gesellschaft braucht das. Wenn ich darauf schaue, wie es in unserer Gesellschaft zugeht, entdecke ich viele verfahrene Situationen. Sie zeigen sich besonders deutlich dort, wo es brutal und rücksichtslos zugeht. Polizisten werden angespuckt und Rettungskräfte mit Steinen beworfen. Politiker und andere, die in der Öffentlichkeit stehen, sehen sich Morddrohungen ausgesetzt. Wozu eine Rettungsgasse freihalten; ich sitze ja sicher in meinem Auto, was kümmern mich die Anderen. Das sind alles Anzeichen von gleichgültigem und aggressivem Verhalten. Aggression ist ein starker Trieb, ein Ur-Trieb des Menschen. Wohin damit? Es ist gut auszusprechen, was einen kränkt oder große Sorgen macht. Genauso wichtig ist es, dass Gehör findet, was die Menschen beschäftigt. Diese elementare Form der Kommunikation ist die Grundlage, damit überhaupt Versöhnung entstehen kann. Wir müssen miteinander reden und aufeinander hören. Aber, bitte, mit Respekt. Und das bedeutet eben, den anderen nie und an keiner Stelle unmenschlich zu behandeln. Egal, was der andere denkt: Er bleibt ein Mensch, mit den gleichen Rechten wie ich, gleich viel wert. Und sei das noch so schwer in der direkten Auseinandersetzung. Diese Grenze darf nicht überschritten werden. Wer einen anderen verachtet, gar seinen Tod wünscht - und sei es nur indem er das anonym im Internet schreibt -, der vergiftet den Zusammenhalt. Und verhindert das, was wir Tag für Tag brauchen: Versöhnung.

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