Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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11AUG2020
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Helfen kann gefährlich sein. Ich war mit dem Fahrrad gestürzt und hatte mich mit dem Fuß derart unglücklich in Kette und Rahmen verfangen, dass ich nicht alleine aufstehen konnte. Da war ich heilfroh und dankbar, dass ein älterer Mann herbeilief und mir aufhalf. Spontan. Ohne Maske. Ohne Abstand. Mitten in Corona.

Ich weiß nicht, ob der Helfer darüber nachdachte, dass er sich bei mir anstecken könnte. Auf jeden Fall ging er als älterer Mensch ein Risiko ein.

Helfen ist eben nicht nur eine feine, edle Sache, sie kann die Helfer auch in Gefahr bringen. Schon die Bibel erzählt von einem Reisenden, der von Räubern zusammengeschlagen, ausgeraubt und halbtot liegen gelassen wird. Ein Fremder kommt vorbei und hilft ihm. Was sich so leicht erzählt, war in Wirklichkeit riskant. Die Räuber konnten noch in der Nähe sein, der Verletzte konnte eine Falle sein. Diese Gefahr zieht sich durch die ganze Geschichte des Helfens. Die katholische Kirche hat viele Frauen und Männer heiliggesprochen, die sich um Pestkranke, Leprakranke oder andere Infizierte kümmerten und dabei selbst erkrankten und starben. Und wer sich heute bei Hilfsprojekten in Krisengebieten engagiert, läuft oft Gefahr verletzt, entführt oder sogar getötet zu werden. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen.

Ich bewundere diese Menschen. Und das umso mehr, als uns in den letzten Monaten eingeschärft wurde, andere vor allem als Virenträger und Ansteckungsgefahr zu sehen und Abstand zu ihnen zu halten. Ich verstehe die Warnungen und achte selbst darauf, niemanden zu gefährden. Zugleich hat mir der christliche Glaube etwas anderes eingeschärft. Nämlich den anderen zuallererst in seiner Not, in seiner Hilfsbedürftigkeit zu sehen und ihn als Nächsten zu erkennen. Als Nächsten, gerade nicht auf Abstand.

Natürlich ist es klug, auch beim Helfen die üblichen Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten. Aber am Ende geht es meist nicht mit Distanz, sondern nur mit Nähe. Und manchmal muss es einfach schnell gehen, notfalls ohne Schutzanzug und Maske.

Ich habe keinen endgültigen Vorschlag, wie wir mit dieser Spannung zwischen Vorsicht und Hilfe umgehen sollen. Ich weiß nur: Hätte mir der alte Mann nicht spontan geholfen, hätte ich ganz schön alt ausgesehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31323
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