SWR4 Abendgedanken

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22JUL2020
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Katholische Christen erinnern sich heute an Maria Magdalena. Leider ist sie zu einer Art Vorzeige-Alibi-Frau geworden. Der Papst und viele Bischöfe ehren sie als „Apostelin der Apostel“ und betonen, dass sie als Frau maßgeblich dazu beigetragen hat, dass es das Christentum überhaupt gibt. Und gleichzeitig bleibt anderen Frauen die Möglichkeit verwehrt, eine Aufgabe zu übernehmen, wie sie einer Apostelin entspricht.

Dabei ist Maria Magdalena zweifellos eine besondere Frau gewesen. Allein schon, wie sie als enge Freundin Jesu mit ihm durch die schwerste Zeit seines Lebens geht und ihm zur Seite steht, zeigt das. Das ist aller (kirchlichen) Ehren wert. Leider wurde ihre Geschichte im Lauf der Zeit so mit Legenden überwuchert, dass sie bis heute ein Image hat, das ihr nicht gerecht wird. Man hat Maria Magdalena bald schon mit der Prostituierten verwechselt/identifiziert, die zu Jesus kommt und ihr Leben ändern will. Seit dem Mittelalter wird sie deshalb als Sünderin dargestellt mit offenen roten Haaren und grünem Gewand. Quasi als Gegenpol zur Gottesmutter Maria, die brav und züchtig mit verschleierten Haaren und in himmlisches Blau gekleidet neben Magdalena steht. Das ist bei fast allen Künstlern bis heute so. Magdalena ist zur Hure geworden, die neben der Heiligen Jungfrau Maria seht. 

Vermutlich sind die beiden Frauen sehr verschiedene Persönlichkeiten gewesen. Im Verlauf der Geschichte haben sich aus ihnen zwei weibliche Idealbilder entwickelt. Dass diese den beiden Frauen gerecht werden, ist mehr als fraglich. Maria Magdalena hat so das Image einer Apostelin mit sündhafter Vorgeschichte bekommen. Das ist dann irgendwie auch bequem: Man ehrt diese Frauen, ändert aber nichts an dem System, das Frauen an sich weniger Verantwortung überlässt.

Heute denke ich an Maria Magdalena und das, was die Menschen ihr im Lauf der Zeit alles angehängt haben. Deshalb sehe ich sie auch als Anwältin für viele Menschen, denen man in unserer Gesellschaft nicht gerecht wird. In der Corona-Zeit habe ich gelernt, dass das zum Beispiel Pflegekräfte, Supermarktangestellte und LKW-Fahrer sind. Es genügt nicht, wenn man sie mit Lob und Ehre abspeist, anstatt ihrer Leistung dauerhaft mehr Wert zu geben und sie angemessen zu bezahlen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31315
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