SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

20JUL2020
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Die letzten Wochen und Monate der Corona-Krise haben von vielen Menschen viel Geduld verlangt. Das hat schon angefangen, als Läden und Geschäfte geschlossen waren und die Leute vor dem Supermarkt Schlange stehen mussten. Die meisten haben vorbildlich mitgemacht. Aber seit die Regierung schrittweise die Regeln lockert, beobachte ich, dass viele Menschen es nur schwer aushalten bis wir alle wieder ein normales Leben haben. Eltern und Kinder wünschen sich, dass sie wieder wie vorher jeden Tag zur Schule gehen können. Mir geht es ja auch so. Mir fehlt mein regelmäßiger Sport und ich kann es kaum erwarten, bis wir in meinem Chor wieder proben können. Das braucht eine Wahnsinnsgeduld. Und ich mag mir gar nicht vorstellen, was wäre, wenn eine zweite Welle käme und wir wieder zurück auf Null müssten.

Solange es aber in eine gute Richtung geht, will ich weiter Geduld üben. Zwei Gedanken helfen mir dabei. Zum einen habe ich bei meiner Nichte beobachtet, wie sie das macht. Sie ist im Kindergartenalter und hat ja auch monatelang nicht mit anderen Kindern spielen können. Wenn ich mit ihr darüber gesprochen habe, habe ich immer den Eindruck gehabt, dass sie das einfach so hinnimmt. Kinder können das manchmal vielleicht besser als Erwachsene. Für sie war das einfach so gegeben. Und sie hat dabei natürlich nicht an die Zukunft gedacht, sondern lebt als kleines Kind so sehr im Augenblick, dass das, was jetzt ist, ihre Einstellung bestimmt. Nicht das, was vielleicht in mehreren Monaten sein wird und auch nicht das, was sein könnte. Das nehme ich mir vor:  wie meine kleine Nichte die Dinge hinzunehmen, wie sie sind anstatt mich zu beklagen, was sein könnte. Das hilft mir schon ein bisschen.

Der zweite Gedanke hört sich fast an wie das Gegenteil. Ich kann Geduld auch lernen, wenn ich an die Zukunft denke. Aber eben nicht, indem ich frustriert an das denke, was ich vermutlich nicht haben kann. Stattdessen stelle ich mir vor, dass ich später einmal im Rückblick sagen kann: Ich habe einen Weg gefunden, ich bin gut damit umgegangen. Ich weiß zum Beispiel noch nicht, ob mein Sommerurlaub so stattfinden wird, wie ich ihn geplant habe. Aber ich bin mir sicher, dass ich irgendeinen Weg finde, wie ich mich im Sommer ein bisschen erholen kann und aus dem Alltag rauskomme. Und dazu motiviert mich auch der Gedanke, dass ich im Herbst dankbar zurückschauen kann, dass ich das Beste aus diesem Sommer gemacht habe.

Geduld üben. Als Christ schaffe ich das ein bisschen leichter, weil ich mein Leben aus Gottes Hand annehme – jetzt, in der Gegenwart und für das, was noch kommt.

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