SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

19JUL2020
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Enorm viel hat sich verändert in den letzten Wochen und Monaten. Das verunsichert mich. Das fängt schon bei ganz alltäglichen Dingen an. Zum Beispiel bei der einfachen Frage: „Wie geht es Dir?“ Oder „Wie geht es Ihnen?“ Die normale Antwort lautet dann ja: „Gut, und Ihnen?“

Jetzt ist das anders. Nicht wenige stutzen erst einmal, sie atmen durch und zögern kurz, bevor sie antworten. Oder sie sagen: „Eigentlich geht es mir gut.“ Sie fangen dann an aufzuzählen, was tatsächlich gut läuft, aber auch das, was nicht mehr so klar ist.

Singen im Chor, Sport in der Halle: Das geht seit Monaten nicht mehr. Und mal ehrlich: Einkaufen macht mir nicht mehr den gleichen Spaß  wie vor Corona. Auswärts essen gehen oder in einen Gottesdienst mit Sitzabständen und Maske auch nicht wirklich. Und ich spüre auch bei anderen diese Verunsicherung und dieses schale Gefühl. Gerade dann, wenn man sich eigentlich entspannt zurücklehnen will. Verunsicherung. Weil es eben anders geworden ist.

Den meisten geht es trotz Krise noch einigermaßen gut. Aber wer weiß denn, wie es wirklich weitergeht? Bei manchen Firmen sind die Aufträge bis Jahresende zum Großteil weggebrochen. Erreichen unsere Schulen unter diesen Bedingungen wirklich noch alle Schülerinnen und Schüler gleich gut? Manche sind digital ungeschickter oder schlechter ausgestattet. Wer achtet auf sie und begleitet sie?

Verunsicherung. Auch im Bereich der Gefühle und Befindlichkeiten.
Manche werden richtig aggressiv, weil sie sich eingeengt, in ihrer Freiheit beschränkt erleben, anderen verlieren ihren Lebensmut, ihre Freunde, weil ihre Kontakte bewusst oder ungewollt in den letzten Wochen deutlich abgenommen haben.

Mich erinnert das an die Gedanken eines Mannes in der Bibel, der betet (Psalm 73): „Beinahe hätte ich den Boden unter den Füßen verloren.“ Dann zählt er auf, was ihn alles verunsichert hat, wie er diese ganze Entwicklungen und auch Gott nicht mehr verstehen konnte. Aber je mehr er sich das alles vor Augen führt und benennt, da wird ihm klar, was er womöglich davor schon zu wenig beachtet hat. Was waren denn die Sicherheiten, der feste Boden auf dem er davor gestanden hat? War das alles wirklich so tragfähig, so zukunftsfähig, wie er gedacht hatte?

Was gibt wirklich Halt?
Ich kann für mich mitsprechen, was dieser Mann dann gebetet hat: Ich gehöre zu dir, Gott, du hältst meine rechte Hand. Ich halte mich an dich, und setze meine Hoffnung auf dich, den allmächtigen Herrn.

Das hat mir gerade auch ein Mann erzählt, der unsicher war bei einer Entscheidung. Er hat dann angefangen zu beten. Beten ist ja im übertragenen Sinne, die Hand Gottes ergreifen. Der Mann hat dann weitererzählt: „Es war eigenartig. Plötzlich hat Gott mich auf etwas anderes gestoßen, das ich vorher nicht gesehen habe. Und trotz der Verunsicherung zu Beginn, gingen jetzt plötzlich die nötigen Türen auf und ich habe einen viel besseren Weg gefunden.“

Viele erleben gerade, beruflich oder privat, das sich manches nicht mehr wie geplant verwirklichen lässt. Auch nicht absehbar. Mir ging es so mit einem neuen Aufgabenfeld. Das hat sich verzögert und verzögert. Und jetzt? Ist es überhaupt noch dran? Viele Fragen stellen sich ganz neu wegen Corona. Wird vielleicht jetzt etwas ganz anderes gebraucht? Werde ich jetzt ganz anders gebraucht? Ich will nicht nur stur einen festgetrampelten Pfad weitergehen, sondern auch aufmerksam sein, ob Gott mir nicht etwas ganz anderes zeigen will.

Es ist ja kein Wunder, dass viele im Moment durch Corona und die Begleitumstände verunsichert sind. Wenn echte Bedrohungen der Gesundheit und der Existenz auftauchen, wenn man sogar selbst zur Gefahr für andere werden könnte. Wenn die Umstände sich so stark verändern, wenn man sich nicht einfach auf Erfahrungen stützen kann, wenn man erzwungenermaßen neue Wege gehen muss. Dann rüttelt das jeden durch.

Umso wichtiger ist es, meine ich, auf Gottes Zusagen und seine Möglichkeiten zu vertrauen. Beten ist da eine gute Möglichkeit. Und wer nicht beten kann? Der kann mit anderen reden. Vielleicht beten die dann für ihn. Und es findet sich ein neuer Weg.

In der Bibel lese ich von Paulus. Nach einer schweren Lebenskrise hat er einen ganz neuen Halt und Lebensinhalt gefunden. Paulus zählt im Römerbrief (Kapitel 8) auf, was Menschen verunsichert. Er nennt die Sorgen und Bedrohungen beim Namen. Aber dann zieht er eine Art Schlussstrich darunter. Aus eigener Erfahrung. „Wer will uns scheiden von der Liebe Christi?“ (Römer 8,35), fragt er. Es gibt doch nichts, was größer und mächtiger ist als Gott. Christus steht mir bei in der Gefahr, sogar bis in den Tod hinein. Aus reiner Liebe. Er hält mich fest. Er lässt niemanden fallen.“

In dieser Gewissheit, dass Gott auch Sie festhält, wünsche ich Ihnen einen gesegneten Sonntag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31303
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