SWR2 Wort zum Tag

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13JUL2020
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Die vergangenen Monaten haben für mich deutlich die Spreu vom Weizen getrennt.“ Ein jüngerer Mann aus der IT-Branche hat mich mit diesem Satz überrascht. Er hat bestimmt nie gesehen, wie ein Bauer gedroschenes Getreide noch einmal in die Luft wirft, um so die leichte Spreu vom schweren Getreide zu trennen. Johannes der Täufer beschreibt mit diesem Bild aus der Landwirtschaft, was er für seinen Auftrag hält. Ihm geht es um eine klare Trennung. Nur die, die von ihren falschen Wegen umkehren, werden Zukunft haben. Sie sind der Weizen. Die anderen werden umkommen. Sie sind dann die Spreu, die der Wind verweht.

Manche hätten die Corona-Zeiten auch gerne so gedeutet. Gott greift in den Gang der Welt ein. Und teilt die Welt ein in solche, die nach seinem Willen leben. In den Weizen eben. Daneben gibt es die anderen, die schuld daran sind, dass alles so gekommen ist. Sie sind die Spreu.

Sehr viel anders als Johannes der Täufer geht der junge Mann auch nicht vor. Obwohl ich schon Sympathie dafür empfinde, wie er dieses Bild deutet. Die, die er mit dem Weizen vergleicht, das sind Menschen, die klar sagen: Es hilft nicht weiter, darauf zu hoffen, dass alles nur wieder wird, wie es vorher war. Solches Denken hält er für Spreu. Und nicht nur er, denke ich.

Johannes und der junge Mann - beide fragen danach, wie Menschen Sinn in ihrem Leben finden können. Eine klare Scheidung der Menschen in Gute und Böse hilft am Ende nicht weiter. Aber danach zu fragen, was mich zu einem Weizenmenschen machen könnte - ich finde, das könnte sich schon lohnen. Die Weizenmenschen, wie ich das Bild verstehe, fragen danach, worauf es wirklich ankommt im Leben. Immer wieder innezuhalten und zu prüfen, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Etwa nach den Bedingungen der Erzeugung von Lebensmitteln zu fragen. Zu schauen, welche Fahrten wirklich notwendig sind – bei der Arbeit oder bei der Entscheidung, wohin es im Urlaub gehen soll. Und überhaupt: nie die konkreten Menschen aus dem Blick zu verlieren. Das, was sie zum Leben brauchen. Vor allem Nähe und Mitmenschen, die es gut mit ihnen meinen. Die letzten Monate waren da eine gute Übungsmöglichkeit. Aber ausgelernt habe ich noch lange nicht, wie das geht, den Weizen von der Spreu zu trennen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31281
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