SWR3 Gedanken

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16JUL2020
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Es ist stiller geworden während dieser Coronazeiten. Überall ist ein bisschen weniger Verkehrs- und auch Fluglärm. Wo ich lebe, sind die Leute immer noch mehr draußen, hören in die Luft, lauschen Vögeln. Und ich merke, das macht was mit mir.

Das StudiWohnheim, in dem ich während meines Studiums gewohnt habe, lag direkt an einer S-Bahnstrecke. Ein paar Meter von meinem Fenster entfernt fuhr tagtäglich von früh bis spät und auch in der Nacht die S-Bahn vorbei. Es ist erstaunlich, aber ich habe mich damals auch daran gewöhnt. Ich habe mal mit jemandem gesprochen, die sozusagen unter dem Frankfurter Flughafen wohnt, sie meinte, irgendwann habe sie sich sogar an den Fluglärm gewöhnt, irgendwann höre man ihn nicht mehr.

Das geht nicht nur Menschen so. Auch Vögel haben sich ihrer Umwelt angepasst. Singvögel singen im Verkehrslärm viel lauter. Um Rivalen zu vertreiben und Weibchen anzulocken, tragen männliche Nachtigallen ihren Gesang in der Stadt heute deutlich lauter vor, mit höheren und kürzeren Tönen. In der Nähe von stark befahrenen Straßen oder Eisenbahntrassen singen die Tiere bis zu 14 Dezibel lauter als ihre Kollegen in ruhigeren Gegenden. Wird der Lärm allerdings übermächtig, stoßen auch die kleinen Sänger an ihre Grenzen.

Aber an stillen Tagen, wie jetzt in der Coronazeit oder auch an Sonntagen, wenn der ungebremste Berufsverkehr abebbt und der heftige Bau- und Straßenlärm zum Schweigen kommt, flöten auch die Nachtigallen in den Straßen von Paris, Amsterdam, Berlin oder Stuttgart wieder deutlich leiser für ihre Frauen. Dann werden sie auch mit zarteren Tönen von uns wahrgenommen und von den umworbenen Weibchen erhört.
Vielleicht sollten wir uns da mal Zeit nehmen, der Stille und den Vögeln zu lauschen.

→ Idee von Hinrich C. Westphal „Nachtigall“ in: Sonntags – Erfindung der Freiheit, Andere Zeiten e.V. 2009.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31278
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