Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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06JUL2020
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Eine kurze Begebenheit morgens vor meinem Fenster: Zwei Kinder gehen vorbei. Ein größeres Mädchen hält ihren kleinen Bruder, etwa drei Jahre, an der Kapuze fest. Es könnte ja ein Auto kommen. Der Junge findet das nicht gut. Reißt sich los und möchte wegrennen. Ich weiß nicht, wie oft ich von meinem großen Bruder festgehalten wurde, damit nichts passiert. Oder wie oft ich meine Kinder festgehalten habe.

Viele kennen das, was die Schwester erlebt hat. Es ist schwer, Verantwortung für andere zu übernehmen und man macht sich nicht beliebt dabei. Vielleicht hatte der Vater gesagt: Wartet kurz, ich bin gleich da. Pass gut auf! Und jetzt liegt alle Verantwortung auf ihr.

Das Mädchen vor meinem Fenster hat das gut gemacht. Sie hat den Kleinen zurückgeholt und bei sich gehalten, bis der Vater um die Ecke kam. Dieser kleine Moment zeigte mir, was Leben zwischen , Leben in Vertrauen und Verantwortung ausmacht. Wenn der Vater einem etwas zutraut.

„Vater unser“, so nennen viele von uns Gott. Der scheint nicht immer präsent, wenn ich mich im Leben verrenne. Wie oft sehe ich die offene Tür nicht, die jetzt für mich die richtige wäre. Oder übersehe ein Stoppschild. Ich sehe oft nur mich und mein Vorhaben. Oder eine Gewohnheit hält mich gefangen. Aber Gott sei Dank gibt es sie, diese großen Geschwister, oder unbequeme Zeitgenossen, einen Freund oder eine Weggefährtin. Die sagen: Halt – gib acht, da kann es schwierig für dich werden. Diese versteckten Schutzengel, die um mich sind, wenn ich zwischen Freiheit und Sicherheit entscheiden muss. Auf die ich hören kann, weil hier Gott selber spürbar wird und mich nicht allein lässt, wenn ich mich überfordert oder ungeschützt fühle.

Vielleicht hat die Schwester ihrem Bruder fast das Leben gerettet. Vielleicht kam der Vater gerade dann um die Ecke, als die Last der Verantwortung zu schwer wurde. Vielleicht lernt der Kleine so das richtige Maß zwischen Risiko und Vorsicht. Ich nehme es mir jedenfalls vor: dankbar anzunehmen, was es in meinem Leben an Schutz und Halt gibt, täglich neu, oft ganz unbemerkt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31180
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