SWR3 Gedanken

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03JUL2020
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Niemand will heute ein Faschist sein. Niemand will sich in eine Reihe stellen lassen mit den Nazis, die unter Hitler unser Land in den Abgrund geführt haben. Aber auch die Nazis damals haben mal klein angefangen. Und so, dass wenige nur gemerkt haben, wohin das führt. Deshalb ist es mir wichtig, frühzeitig zu erkennen, wenn man es mit Faschismus zu tun hat.

Sollte ich ein Bild vom Faschismus malen, dann würde ich einen alten und garstigen Menschen malen. Ein Mensch, der ein Meister der Verwandlung ist. Er gibt sich immer topmodern und hip. Um den Anschein zu geben, er wäre auf der Höhe der Zeit. Im Herzen trägt und bewahrt er aber all die Ungerechtigkeit in sich, die er einmal erlebt hat. Wahr oder unwahr- er nährt sie in sich und hält sie lebendig. Warum? Weil er sich rächen will. Irgendein Opfer wird sich schon finden.

Zuweilen kann er charmant, fast schon verführerisch sein. Besonders dann, wenn er einen trifft, der vom Leben enttäuscht und wütend ist. Dann stellt er sich neben ihn und flüstert ihm ins Ohr: Ich verstehe dein Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein. Und ich habe die Lösung deines Problems. Unsere Empörung, unser Hass hat ein Recht, in Handlung umgesetzt zu werden! Du hast das Recht, Genugtuung zu bekommen.

Das ist die Verführung, die der Faschismus anbietet. Deshalb ist es mir wichtig, mir das bewusst zu machen. Und wenn immer Wut und Hass in mir aufsteigen – mich zu fragen: wo wäre ich gefährdet, diesem verführerischen Angebot zu folgen?

Klar, niemals würde ich ein Faschist sein wollen. Aber was ist, wenn ich ungerecht behandelt werde? Wenn ich enttäuscht bin von der Politik, von Institutionen, Chefs und Respektspersonen? Faschismus fängt immer klein an - mit Wut und Enttäuschung. Und ich darf nicht zulassen, dass sie mein Handeln leiten.

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