SWR1 Begegnungen

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21JUN2020
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Britta Geburek-Haag

Verwundete Seelen heilen

Praxis verrät nichts von den Abgründen, in die sie blickt. Hell und bunt sind die Zimmer des Psychosozialen Zentrums Pfalz mitten in Ludwigshafen. Hier berät die 52jährige Traumapädagogin psychisch kranke und traumatisierte Geflüchtete. Unfassbares muss die Pfarrerin manchmal hören. Es verblüfft mich, wie positiv sie dabei bleibt.

Meistens geht es mir so, wenn ich in die Geschichten eintauche dass ich dann nur staunen kann, was ein Mensch aushalten kann, was ein Mensch ertragen kann, wie viel Leid, wie viel Schmerz, wie viel Demütigung möglich ist – und Menschen dann doch weiter leben.

Staunen über einen Willen zum Leben trotz allem. Über eine Kraft, die in uns Menschen liegt und uns hilft, auszuhalten: Eben nicht nur die Pandemie, hier und weltweit. Sondern auch Schicksale von Gewalt und Flucht mit schrecklichen Erlebnissen: Etwa, dass jemand den Bruder, die Frau oder ein Kind im Mittelmeer ertrinken sehen muss.

Britta Geburek-Haags Klienten haben alle Schlimmes hinter sich. Oft hat es eine seelische Wunde, ein Trauma, hinterlassen. Und manchmal macht das erst lange nach der akuten Gefahr krank. Wie bei der Frau aus Somalia, die meine Gesprächspartnerin Sara nennt. Sara kommt 2016 in einem schlechten Zustand zu ihr: schwanger und schwer depressiv.

Dann stellte sich eben raus, dass diese Frau mit knapp 16 zwangsverheiratet wurde mit einem 30 Jahre älteren Mann, In der Ehe permanent missbraucht wurde, sexuell ausgebeutet wurde – und so wie die wahrscheinlich 99% der somalischen Frauen als Mädchen beschnitten wurden – war sie eben auch schwerst beschnitten und der gewalttätige Ehemann hat eben sich immer wieder mit Gewalt und unter größten Schmerzen genommen, was er wollte – und sie hat dann vier Kinder geboren im Laufe von mehreren Jahren – und wurde bei jeder Geburt immer wieder aufgeschnitten und danach wieder zugenäht.

Solche Schicksale machen mich stumm – und doch spreche ich heute darüber. Eben um zu zeigen, wie wichtig es für die Geflüchteten ist, nicht zu verstummen, sondern Räume und Menschen zu finden, mit denen sie reden können. Nicht Wegschauen und Dichtmachen. Sondern Dasein, Hinschauen und Stand halten. Das ist oft der Anfang seelsorglicher und therapeutischer Hilfe. So können aus Worten Wege werden – wie bei Sara.

Ihr ist es so gegangen, dass sie das erste Mal in ihrem Leben drüber gesprochen hat und ihr eigentlich bewusst wurde: Das ist unglaubliches Unrecht, was da geschieht – und das darf man auch beweinen und betrauern und wütend drüber sein.

All das kann Hilfe und Heilung in seelischen Krisen sein. So kann Sara heute sogar für andere da sein und wirkt als Sprachmittlerin für Geflüchtete.

Mit den Augen der anderen sehen

Britta Geburek-Haag berät psychisch kranke und traumatisierte Geflüchtete bei der Diakonie in Ludwigshafen. Viele Geschichten von Flucht, Folter und Gewalt muss die Traumapädagogin und Pfarrerin hören. – Wie geht das? frage ich sie: So nah bei verletzten Seelen zu sein – und trotzdem selbst nicht zu verzweifeln.

Vieles, über das ich mich mal aufgeregt hab – das ich mir gewünscht hab, wo ich gedacht hab: aah, das möcht´ ich anders haben – das erscheint mir jetzt nicht mehr so bedeutend. Ich bin wirklich sehr dankbar und zufrieden und auch irgendwie demütiger geworden

„Demütiger“ – das verstehe ich so: Wenn man nah an Geflüchteten ist, dann muss man von sich selbst absehen können und sich auf die Perspektive der anderen einlassen können. Und dort – in der Perspektive der Erniedrigten – sind die eigenen Themen oft nur noch „Problem- chen“. Und: es kann noch etwas viel Größeres aufscheinen.

In dieser Begegnung da zeigt sich letztendlich auch die Beziehung zu Jesus und die Gottesbeziehung - wie ernst sie mir ist - und da die Gottebenbildlichkeit und die Würde des Menschen gerade diesen zukommen zu lassen.

Im Anderen zeigt sich Gott. Das Christentum ist keine „Lehre“. Es wächst in Berührung, Begegnung und Gespräch, gerade mit den Schwachen. „Ich war fremd – und ihr habt mich aufgenommen“ sagt Christus – und in dieser Linie ist es zentrale Aufgabe von Kirche und Diakonie, berührbar für die Not der anderen zu sein. Gerade auch derer, die durch ihre Flucht am wenigsten vor Coronainfektionen geschützt sind.

Ich finde es ganz unsäglich, dass weltweit so viele Menschen auf der Flucht sind: Zig Millionen. Dass aber kaum noch welche hier in Europa ankommen können, weil sie eben festgehalten werden an den EU-Außengrenzen, weil sie in den Lagern festsitzen und dort nicht mehr rauskommen.

Dass wir da tatenlos zuschauen, dass wir noch nicht mal die Schutzbedürftigsten unter ihnen rausholen, nicht wenigstens die Minderjährigen.Ich find‘ da fast keine Worte für – das empört mich unglaublich und ich finde es gut und wichtig, dass auch die Kirche und die Diakonie da ein deutliches Wort sprechen.

Sicher: Empörung ist noch keine Lösung. Aber ein Anfang. Denn wir leben – gerade mit der Pandemie – weiter in der einen Welt. Zwar kann man – wie ich das in letzten Wochen meist auch getan habe – die Augen schließen vor der Not der anderen. Wir haben ja genügend Probleme im eigenen Umkreis. Aber das ist zum einen keine Lösung und zum anderen keine Perspektive, die die Weite meines christlichen Glaubens aufgreift. Ein Leben, das nur um „mich“ und „uns“ kreist, ist in ihr nicht vorgesehen. Die Begegnung mit Britta Geburek-Haag hat mich aus diesem Kreisen herausgeholt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31139
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