SWR3 Gedanken

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25JUN2020
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Der kleine Mario schreit. Es ist vier Uhr nachts und Mario wälzt sich hin und her. „Nein, nein. Lass mich“, ruft er. Judith setzt sich neben ihn, spricht mit ihm, singt und streichelt ihm vorsichtig über das Haar. Dass sie das darf, ist ein riesen Vertrauensbeweis.

Judith ist Marios Pflegemutter. Zusammen mit ihrem Mann Peter und den eigenen Kindern sind sie eine „Inobhutnahme-Familie“ für das Jugendamt. Die Familie nimmt spontan Kinder von null bis drei Jahren bei sich auf, die akut aus ihrer Familie raus müssen, weil sie dort nicht sicher sind. So war es auch bei Mario. Er hat viel Zeit gebraucht, um jemanden nah an sich ranzulassen.

Es kann also sein, dass bei Judith und Peter mitten in der Nacht das Telefon klingelt und das Jugendamt fragt, ob sie ein Neugeborenes aufnehmen können, weil die Eltern abgehauen sind. Dann holen sie die Tasche mit den Kleidern vom Speicher. Und das kleine Menschlein zu sich. Wie lange es bleibt, ist vorher nicht klar. Manchmal nur ein paar Tage. Manchmal Wochen oder Monate oder - so wie jetzt bei Mario - für immer. Er ist der Familie so ans Herz gewachsen und das Jugendamt hat auch sein OK gegeben. Das ist aber die Ausnahme.

Ich bewundere das sehr. Judith und Peter nehmen die Kinder völlig wertfrei an. Sie gehen mit ihnen ein Stück durchs Leben, geben ihnen ein Zuhause und hoffen, dass die Kinder weiterhin davon getragen sein werden. Sie sind immer bereit, wieder neu anzufangen.

Judith beschreibt ihr Leben mit den Kindern so:

„Wir kriegen ja auch was zurück. Diese Kinder sind so einzigartig. Es ist so ein interessantes Leben und Arbeiten mit diesen Kindern. Ich würde diese Entscheidung nie mehr zurücknehmen. Am Ende des Tages ist man nämlich zufrieden.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31126
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