SWR3 Gedanken

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16JUN2020
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Ich stehe vor dem Spiegel und komme mir selbst ein bisschen lächerlich vor. Aber ich will es wissen. Mit meiner Maske über Mund und Nase beobachte ich meine Augen. Versuche ein Lächeln. Ziehe hinter der Maske die Mundwinkel herunter. Ziehe zur Abwechslung die Augenbrauen hoch. Oder runzele die Stirn. Und stelle fest, dass es wirklich schwer ist, nur mit den Augen zu sprechen. Wo ansonsten mein ganzes Gesicht mitredet.

Normalerweise macht mein Mund eine ganze Menge, damit andere wissen, woran sie mit mir sind. Meine Augen sind gar nicht so eindeutig, wie ich immer dachte. Wenn die Fältchen auftauchen, ist das vielleicht ein höfliches Lächeln. Oder einfach nur ein Reflex auf helles Licht. Selbst hochgezogene Augenbrauchen signalisieren alles Mögliche. Staunen, Ratlosigkeit, leichter Ärger. Auf den ersten Blick gibt mein Blick nicht besonders viel her, stelle ich fest. Und nun?

Augen sind die Fenster zur Seele, heißt es so schön. In meiner Seele sind die wirklich tiefen Gefühle. Also denke ich an meine Kinder. Und beobachte über die Maske hinweg, wie meine Augen sich verändern. Die werden irgendwie weich. Und sogar strahlend bei der Erinnerung an einen wirklich schönen Abend mit Freunden vor ein paar Wochen, bei dem ich mich so wohl gefühlt habe. Und dann fällt mir eine wirklich hässliche Szene ein, und ich beobachte, wie meine Augen allen Glanz verlieren.

Ich nehme sie ab, die Mund-Nasen-Bedeckung, beende den Augen-Test. Mein Mund lächelt. Weil meine Seele verstanden hat, dass sie das Sagen hat. Mit meinen Gesichtsmuskeln kann ich spielen. Kann mir etwas vormachen. Und anderen auch. Aber wenn die Seele ins Spiel kommt, werden die Augen doch zum Spiegel, zum Fenster. Liebe, Freude, Trauer. Die wirklich wichtigen Gefühle, die kann man sehen. Lesen. In den Augen. Mit und ohne Maske.

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