SWR3 Gedanken

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15JUN2020
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Er hat sich seinen Weg gebahnt. Mit Hilfe von Polizei und Ordnungskräften. Hat jeden Widerstand aus dem Weg gebügelt, um auf die andere Straßenseite zu kommen. Dort, wo eine Kirche steht. Und dort hat er sich aufgebaut. Für die Fotografen. Mit einer Bibel in der Hand. Das Foto ging um die Welt. So wie er es wollte. So wie er es wollte?

Sie wissen längst, wen ich meine. Den amerikanischen Präsidenten, der sich nie für eine Schlagzeile zu schade ist. Wenn es um Macht geht. Auch die Macht des Glaubens. Die er auf seiner Seite haben will. Seht her, ich stehe für Recht und Ordnung. Und ich habe das Wort Gottes auf meiner Seite. Und alle, die diesem Wort trauen, werden mir trauen. Und mich wählen. Werden sie das?

Hoffentlich nicht. Das Wort Gottes lässt sich in der Tat in diesem Buch finden, das Herr Trump trutzig in die Kamera hält. Aber da steht nichts von Nationalgarde und Wasserwerfern, da steht etwas von Liebe und Versöhnung. Da steht etwas von einem, der auf alle Macht verzichtet hat, damit die Ohnmächtigen eine Chance bekommen. Da steht etwas von Solidarität und Empathie für die Schwachen, Entrechteten, Untergebügelten. Und von der Frage, wem ich trauen kann.

Die Bibel kann sich nicht wehren, wenn sie instrumentalisiert wird. Aber wir können es. Wir haben die Entscheidung, ob wir uns von plumpen Gesten beeindrucken lassen oder uns selbst ein Bild machen. Dazu hilft es, wenn man die Bibel nicht nur in die Kamera hält, sondern aufschlägt. Dann liest man zum Beispiel diesen Satz: „Lass vom Bösen und tue Gutes; suche Frieden und jage ihm nach.“ Und dafür empfiehlt die Bibel keine Wasserwerfer, sondern Herz und Verstand.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31104
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