SWR2 Zum Feiertag

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11JUN2020
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Foitzik: Heute feiert die katholische Kirche das Fest Fronleichnam. Darüber spreche ich mit dem Freiburger Theologen Karlheinz Ruhstorfer. Professor Ruhstorfer lehrt Dogmatik und Ökumenische Theologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Freiburg.

Das Fest Fronleichnam feiert die katholische Kirche öffentlich auf Straßen und Plätzen. Im Zentrum steht dabei der Glaube, dass Christus in den Zeichen Brot und Wein wirklich gegenwärtig ist, so wie es Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern beim letzten Abendmahl versprochen hat. Das Wort Fronleichnam lässt sich so übersetzen: der lebendige Leib des Herren.

Herr Professor Ruhstorfer, öffentliche Gottesdienste und Messfeiern waren in den letzten Wochen und Monaten gar nicht möglich – wegen all der Maßnahmen, die nötig waren, um die Covid 19-Pandemie einzudämmen. Was bedeutet es vor diesem Hintergrund heute Fronleichnam zu feiern, eben dieses Fest, bei dem der Glaube der Kirche öffentlich bekannt und bezeugt wird?

Ruhstorfer: In der Pfingstausgabe der Wochenzeitschrift DIE ZEIT vor zwei Wochen stand auf der Titelseite: „Frommes Schweigen“. Die Redakteurin Evelyn Finger stellt darin fest, dass die Kirchen in der Coronakrise die Menschen allein gelassen hätte. Sie hätten das Gefühl vermittelt, nicht systemrelevant zu sein. Was auch immer die Kirche in diesen Wochen im Verborgenen getan haben oder nicht getan haben. In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, die Kirchen seien nicht präsent. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung. Die Kirchen vermitteln ohnehin schon lange das Gefühl, auf dem Rückzug zu sein. Corona wirkte hier wie ein Brandbeschleuniger. Eben deshalb ist ein Fest wie Fronleichnam so wichtig. Die Kirche muss öffentlich sichtbar sein. In den Medien, aber eben auch auf den Straßen und Plätzen unserer Städte. Eine Fronleichnamsprozession könnte da schon die Botschaft vermitteln: Wir sind da. Wir bezeugen, dass es einen Gott gibt. Ein Gott, der mit uns durch die Straßen und Gassen geht, der uns auf allen Lebenswegen begleitet.

Foitzik: Der erzwungene Verzicht auf öffentliche Eucharistiefeiern ist sicherlich vielen in der Kirche sehr schwer gefallen, ist doch die Eucharistiefeier – wie es eben auch das Zweite Vatikanische Konzil formuliert hat – Quelle und Höhepunkt unseres Glaubens und Glaubensleben. Dabei haben sich aber auch manche gefragt, wie wichtig ihnen eigentlich diese Eucharistiefeier wirklich ist. Liegt so in dieser Art erzwungenem eucharistischen Fasten auch eine Chance?

Ruhstorfer: Die Chance liegt wohl darin, dass eine Unterbrechung zur Besinnung und zur Neuorientierung führen kann. Der Philosoph Jürgen Habermas, der selbst unverdächtig ist in Sachen radikalem Katholizismus, schrieb vor kurzem über die sakramentalen Handlungen der Kirche. Er meint, dass Sakramente und damit auch die Eucharistiefeier niemals nur „eine irdische, von der Kirche veranstaltete feierliche Kommunikation unter den Gemeindemitgliedern sein kann“. Das war jetzt Orgiginalton Habermas. Eucharistie ist eine rein menschliche und soziale Angelegenheit. Das wäre falsch. Es geht darin um die Realpräsenz Gottes. Die sakrale Dimension der Eucharistie verweist darauf, dass Gott selbst hier sinnlich gegenwärtig wird. Er verwandelt sich in irdische Wirklichkeit, um die irdische Wirklichkeit in göttliches Leben zu verwandeln. Diese sakrale Tiefendimension darf nach Habermas nie vergessen werden. Und diese eigentlich spirituelle, religiöse oder metaphysische Dimension der Eucharistie betrifft auch das gesellschaftliche Miteinander. Denn ohne diese Dimension droht - so Habermas - „das Versiegen der sakralen Quellen sozialer Integration“. D.h. es geht um gesellschaftlichen Zusammenhalt, um die Verwandlung der Welt in einen menschenwürdigen und damit gottgefälligen Ort. Habermas sagt, dass der Verlust dieser transformativen Kraft der Sakramente „einer menschheitsgeschichtlichen Zäsur gleichkäme“.

Foitzik: Von Habermas jetzt mal auf eine ganz andere Ebene. Herr Professor Ruhstorfer, sie sind Vater von drei Kindern und waren Religionslehrer bevor Sie an die Universität zurückkehrten. Das Fest Fronleichnam ist wohl das Fest im katholischen Kirchenjahr, mit dem sich heute die meisten Katholikinnen und Katholiken schwertun, erst recht, wenn sie als Eltern oder als Lehrerinnen beispielsweise Kindern und Jugendlichen erklären sollen, um was es da eigentlich geht. Wie kann man dieses Fest heute noch begehen, das doch einer ganz anderen Sakramenten-Theologie, einem ganz anderen Sakramentenverständnis entstammt?

Ruhstorfer: Sicher verändert sich das Sakramentenverständnis in der Zeit. Aber eines muss doch gleich bleiben. Die Sakramente sind die Schnittfläche von Gott und Schöpfung, Schöpfer und Geschöpf. Bei einer Fortentwicklung der Theologie muss es meines Erachtens darum gehen, zu einem tieferen und weiteren Verständnis der Sakramente zu kommen. In der Materie, im Fleisch, im Schmutz der Erde will Gott ankommen. Überall da, wo Krankheiten überwunden werden durch Ärztinnen und Ärzte, wo Trost gespendet wird durch Mitmenschen, wo Kindern von Lehrerinnen und Lehrern Welt und Zukunft erschlossen wird, wo Armut überwunden wird, wo gerechte Strukturen in der Welt geschaffen werden, überall da wird sakramentale Verwandlung der Welt sinnfällig und wirklich. In diesem Sinn sind Sakramente die bleibende Gegenwart Jesu, der ja selbst auch gesagt hat, dass das Reich Gottes nahe ist, dass es wie ein Sauerteig die gesamte Welt durchsäuert. Die konkreten Sakramente der Kirche (Taufe, Eucharistie, Buße usw.) sind doch nur besonders sichtbare Ausprägungen der Tatsache, dass das Gottesreich angebrochen ist und sich mehr und mehr durchsetzt – gegen allen Anschein, gegen alle Dunkelheit der Welt.

Foitzik: Herr Professor Ruhstorfer, Sie lehren Ökumenische Theologie an der Universität Freiburg: Fronleichnam gilt als das allerkatholischste Fest im Jahreskreis. Es war das Fest mit dem die katholische Kirche geradezu öffentlich demonstriert hat, was sie von den Protestanten unterscheidet, nämlich der Glaube an die Gegenwart Jesu in der als Leib Christi verehrten Hostie.

Umgekehrt war für Luther Fronleichnam das, ich zitiere, „allerschändlichste Fest“; an keinem anderen werde - so Luther - „Gott und sein Christus mehr gelästert, denn an diesem Tag und sonderlich mit der Prozession.“ Wie sehr trennt uns heute dieses Fronleichnamsfest noch von unseren evangelischen Schwestern und Brüdern?

Heute muss uns Fronleichnam in keiner Weise von unseren evangelischen Mitchristinnen und Mitchristen trennen. Es kommt nicht darauf an, ob Gott hier mehr durch die objektive Seite der Kirche, des Amtes und damit des Priesters wirkt, so wie esdie katholische Kirche denkt, oder über die subjektive Seite des gläubigen und freien Individuums, so wie es in der evangelischen Kirche Tradition ist. Es muss nur klar werden, dass Gott es ist, der mit den Menschen auf ihren verschlungenen Wegen unterwegs ist. Dass Gott uns Hoffnung gibt, dass Gott uns von unserenIrrwegen zurückholt und auch über Umwege findet. Vielleicht müssen wir Katholiken heute evangelischer werden und die evangelischen Gläubigen katholischer. Den Weg in die Zukunft können wir nur miteinander finden.

Foitzik: Herr Professor Ruhstorfer, ganz herzlichen Dank für diese so reichhaltigen Gedanken, die vielleicht dem einen oder anderen von uns ein einigermaßen schwieriges Fest ganz neu nahe gebracht hat, vielen Dank.

Ruhstorfer: Ich bedanke mich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31087
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