SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

05JUN2020
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„Das Coronavirus ist asozial. Es zerstört die Gemeinschaft.“ Schimpft ein Kollege und seufzt über ausgefallene Gottesdienste und Konzerte und darüber, dass die Menschen sich nicht in der gewohnten Weise versammeln können.

Wir reden drüber, ob das wirklich so ist. Ganz schnell kommen wir darauf, dass die Menschen jetzt doch auch Leidensgenossen sind und dass für jeden ausgefallenen Gottesdienst es eine Menge gibt, was Menschen gemeinsam tun:

Eine Großmutter liest dem Enkelkind am Telefon eine gute Nachtgeschichte vor und betet mit ihm. Im Altenheim wird mit der Haussprechanlage eine Andacht in die Zimmer der Bewohner übertragen. Konfirmandeneltern trauen sich, ein Tischgebet mit der ganzen Familie zu sprechen. Ohne die Coronakrise hätten sie das wahrscheinlich niemals ausprobiert; und manche hätten gedacht: Beten, das gehört in die Kirche und nicht nach Hause.

Ich denke mir, das Coronavirus hat manche unangenehme Eigenschaft. Aber asozial, die Gemeinschaft zerstörend, das ist es nicht. Asozial sind höchstens wir, wenn wir uns die Gemeinschaft kaputtmachen lassen. Ich erlebe aber, dass eine ganze Menge ausprobiert wird. Es geht immer darum, dass Menschen sich gegenseitig vergewissern: Wir sind eine Gemeinschaft.

Das tut mir gut. Es tut mir gut, wenn die Bekannte auf der Straße nicht einfach vorbeiläuft wie sonst mit flüchtigem Gruß. Jetzt bleibt sie stehen und hat Zeit für ein Schwätzchen, – mit Mundschutz zwar, aber mit freundlichen Augen. Und wir spüren beide, dass uns die Coronasituation auch verbindet. Wir sind Leidensgenossen. Das Wort klingt irgendwie verstaubt. Aber ich finde: Es hat gerade jetzt seine Berechtigung.

Wir sind uns einig im Schimpfen auf das Virus und auf die Situation, die gerade so schwierig ist. Und wir kommen dabei mehr in Kontakt als wir das vorher konnten, wo sich jeder nur um sich selbst gekümmert hat. Wir erzählen einander unsere Sorgen, die durch die Krise gekommen sind. Dass viele Menschen nun mehr Sorgen haben, ist gewiss nichts Gutes; aber wir teilen unsere Sorgen miteinander. Wir erkennen uns als Leidensgenossen. Ich finde, das macht uns als Gemeinschaft stark.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31026
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