SWR3 Gedanken

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24MAI2020
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In der Corona-Zeit habe ich viel mehr mit meinen Kindern gemacht: Wir haben in der Wildnis hinterm Haus einen Kletter-Parcours gebaut oder wir haben meine alten Brettspiele rausgeholt und ausprobiert. Dabei ist mir mal wieder aufgefallen, wie spontan Kinder sind. Während ich noch darüber nachdenke, ob ich zum Klettern die richtige Hose anhabe, sind sie schon losgekraxelt. Wenn ich noch überlege, ob das Brettspiel nicht zu komplex ist, bewundern sie schon den bunten Spielplan und erfinden eigene Regeln. 

Ich habe meine Kinder beneidet, wie arglos sie in den Tag reinleben. Sie planen wenig voraus und wägen nicht ab, sie sind nicht besonders misstrauisch und reagieren meistens direkt und unverstellt. Kinder sind einfach super echt. Das ist einerseits schön, es hat aber auch eine andere Seite. Denn Kinder können nicht nur echt begeistert oder echt erfinderisch sein, sondern auch echt traurig, echt sauer, oder echt ehrlich sein. Aber auch das gehört dazu. 

Ich habe das Echtsein ein bisschen verlernt. Und ich glaube, ich weiß auch, warum. Ab einem bestimmten Alter habe ich schlechte Erfahrungen damit gemacht. Da wurde ich komisch angeguckt, zurückgepfiffen oder ausgelacht. Und irgendwann bin ich dann „vernünftig“ geworden und auch ein bisschen angepasst. Das hat seine guten Gründe, denn wer echt ist, wird durchschaubar, der riskiert Konflikte oder wird als seltsamer Vogel abgestempelt. Echt sein heißt meistens auch ein Risiko einzugehen. 

Es gibt aber Momente, da kann ich ziemlich risikolos ich selbst sein. Und die kann ich dann so richtig genießen: Durch Pfützen latschen, aus vollem Leib ein Lied mitsingen, in einer Diskussion mutig meine Meinung vertreten, mir fette Kotletten stehen lassen, mal wieder meine alte Flickenjeans anziehen, weinen, wenn mir danach zumute ist, mich im Wald ins Moos legen. Echt sein kann echt gut tun.

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