Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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29MAI2020
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„Nein, bitte nicht küssen“, ruft der Zehnjährige, eines meiner Patchworkkinder, die am Wochenende die Bude stürmen. Er, der mich ansonsten gleich auf der Treppe umarmt. „Na dann geh mal vorsichtig rein“, sag ich. Und denke, nun fängt sie wohl an, die Pubertät. „Du weiß doch, Corona“, sagt er feierlich, „obwohl, ich bin ja öfter da, da könnt ich dich ja doch…“ „Schon gut, du bleibst ja noch bisschen“, sag ich. Er kramt aus der Jacke seinen Mundschutz vor und mummelt „aber weißt Du, manchmal bin ich froh, dass mich nicht jeder knuddelt“.

Ich grinse und erzähle, wie es bei mir war. Ich bin etwa 11 gewesen, da habe ich zum ersten Mal gedacht: „Bitte nicht umarmen.“ Mein Opa steht vor der Tür. Ich strecke ihm steif die Hand hin. Aber Opa lacht nur, umarmt mich fest – bis heute rieche ich sein „Old Spice“ - und drückt mir einen Schmatzer auf. Und das mit seiner Reibeisenhaut.

Doch, ich habe meinen Opa geliebt. Aber als ich halb erwachsen war, ist es mir auch so ergangen wie vielen Halbwüchsigen: „Küssen verboten!“ Das habe ich bei so manchen Onkels und Tanten gedacht „nein, nicht umarmen“. Besonders, wenn man mir dazu noch mit einem spuckbefeuchteten Taschentuch... Lassen wir das. „Nein“ sagen dürfen, ist wichtig. Nicht erst seit der Mee-too-Debatte oder in Coronazeiten. Aber einander ganz freiwillig umarmen und küssen, das bleibt lebenswichtig.

Menschen brauchen Berührungen. Vom ersten Atemzug bis zum letzten. Darum knuddeln wir Babys, nehmen einander in den Arm, streicheln Hände, wenn jemand krank ist oder stirbt. Wie bitter ist das, wo eben diese Nähe nicht möglich ist. Und wie sehnsüchtig wird sie erwartet, die Zeit, in der wir einander wieder näher kommen dürfen. Hautnah.

„Er lief, umarmte und küsste ihn“, heißt es in einer bekannten Geschichte der Bibel. Der Vater umarmt seinen verlorenen Sohn, der zurückkehrt. Ich bin für dich da, sagt er damit, ganz gleich, was geschehen ist und geschieht. Ich liebe dich. „Duuu“, sagt mein Söhnchen verschmitzt nach dem Mittagessen, „darf ich auf deinen Schoß, ich gehör ja zum Haushalt. Dann darf ich das.“ Wer kann da schon Nein sagen.

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