Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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19MAI2020
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Ein paar Stunden lang war er wohl der einsamste Mensch unseres Sonnensystems. Michael Collins, einer der drei Astronauten, die unterwegs waren zur ersten Mondlandung in der Geschichte der Menschheit. Seine Kollegen Armstrong und Aldrin haben die Oberfläche des Mondes schon betreten, hundert Kilometer über ihnen umkreist Collins den Erdtrabanten in der Kommandokapsel. Bei jeder Umrundung verschwindet Collins für einige Zeit hinter der dunklen Rückseite des Mondes, in der so genannten Mondnacht. In dieser Zeit ist der Funkkontakt zur Erde unterbrochen, der Astronaut mutterseelenallein auf sich selbst gestellt. Und dann kommt auch noch eine böse Überraschung: Die Kühlflüssigkeit wird zu kalt, Collins muss entscheiden, was jetzt zu tun ist. Ohne die Möglichkeit, sich mit dem Kontrollzentrum zu beraten. Sein Überleben und das seiner beiden Kollegen hängt jetzt davon ab, dass er richtig entscheidet. Er hat die Nerven behalten und das Richtige getan.

Michael Collins war der Mann im Mondschatten, und auch sonst blieb er eher im Schatten. Bei der Mondmission hatte Collins eigene Aufgaben, und nur weil er die präzise erfüllt hat, konnten die beiden anderen ihren spektakulären Gang auf dem Mond durchführen und wieder zur Erde zurückkehren. Erinnert uns das an irgendwas? Jetzt in dieser Zeit, in der es so viele Menschen gibt, die wir ‚stille Helden‘ nennen?

Interessant finde ich, was Michael Collins im Rückblick über seine Erfahrungen gesagt hat: „Ich glaube…, wenn die… Politiker dieser Welt ihren Planeten aus...100 000 Meilen Entfernung sehen könnten, würden sich ihre Ansichten fundamental ändern… Selbst die wichtigste Grenze wäre unsichtbar, der lauteste Streit unhörbar. Der kleine Globus würde sich weiter drehen, gelassen alle Teilungen ignorierenund stattdessen eine einheitliche Oberfläche präsentieren, die Verständnis und Gleichbehandlung fordert. Die Erde sollte so werden, wie sie sich uns zeigt: blau und weiß, nicht kapitalistisch oder kommunistisch; blau und weiß, nicht arm oder reich; blau und weiß, nicht neidisch oder beneidet."[1]

Verglichen mit Michael Collins ist der Abstand, den wir derzeit einhalten müssen, verschwindend gering. Und doch: Vielleicht kann diese Erfahrung auch unsere Perspektive ein bisschen zurechtrücken. Wäre das schön!

 

[1]Michael Collins, "Carrying the Fire", 1974. Zitiert nach t-online-Nachrichten vom 20.07.2019

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30911
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