Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Noch nie war das Christentum so friedfertig wie heute. Das soll nicht selbstgefällig klin-gen, aber Tatsache ist: Die Epochen sind vorbei, in denen das Christentum mit Feuer und Schwert einherging. In unseren Breiten begründet kein ernstzunehmender Mensch mehr Gewalttaten mit dem christlichen Glauben.
Offenbar haben die Menschen über die Jahrhunderte endgültig dazugelernt. Die Botschaft des Evangeliums ist ja auch ganz eindeutig: Die Sanftmütigen werden das Land erben; bei einem Schlag auf die eine Wange soll man auch die andere hinhalten, seine Feinde soll man lieben und für seine Verfolger beten. Alles Worte Jesu. Sie lassen keinen Zwei-fel an dem Vorrang von Frieden und Sanftmut aufkommen. Schließlich sagt Jesus auch: Wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Wer aber sein Leben verliert wegen mir und um des Evangeliums willen, der wird es retten. Jesus setzt anscheinend ganz klar auf Friedfertigkeit und Demut, auch wenn es das eigene Leben kostet.
Doch so klar ist es in Wahrheit nicht. Jesus fordert hier nämlich gerade nicht zur Sanft-mut, sondern zum Kampf auf. Sein Satz „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren, wer es um meinetwillen riskiert, wird es gewinnen“, dieser Satz ist ein Zitat. Jesus zitiert einen antiken Feldherrn, der mit diesen Worten von seinen Soldaten Tapferkeit und Mut in der Schlacht verlangt. Diese Worte bedeuten: Wer feige sein Leben retten will, der wird zum Opfer gegnerischer Kämpfer. Wer aber mutig und anscheinend ohne Rücksicht auf das eigene Leben die Schlacht wagt, der hat eine Chance auf den Sieg.
Der scheinbar so friedfertige Jesus greift hier ein kriegerisches Bild auf. Er verlangt von seinen Jüngern die Haltung unerschrockener Soldaten. Wie in einer Schlacht, geht es auch bei ihm ums Ganze. Sein Kampf gilt den lebens- und menschenfeindliche Mächten, die in der Bibel wie Dämonen Besitz von den Menschen ergreifen: Ungerechtigkeit, Aus-beutung, Habgier, Hartherzigkeit. Wer also Ungerechtigkeit keinen Widerstand entgegen-setzt, wer Habgier und Ausbeutung keinen Einhalt gebietet, wer sich einfach mit dem abfindet, was scheinbar nicht zu ändern ist – wer so handelt, kann sich nicht auf den sanftmütigen Jesus berufen. Dem gilt vielmehr das Bild vom Feldherrn, der seine Solda-ten wachrüttelt und den Einsatz ihres Lebens fordert.
Beides gehört zur Botschaft der Bibel: Der sanftmütige Umgang mit den Menschen, vor allem mit den Schwachen, Kranken und Armen. Und der unerbittliche Kampf gegen alles, was dem von Gott gewollten Lebensglück entgegensteht. Kampf ohne Sanftmut wird zur puren Gewalt. Aber Sanftmut ohne Kampfbereitschaft ist unglaubwürdig.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3091
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