SWR3 Gedanken

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22MAI2020
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„Free hugs“ = „Umarmungen – einfach so“– kurz vor dem Lockdown habe ich zum letzten Mal Leute mit solchen Schildern um den Hals bei uns in der Fußgängerzone gesehen. Andere zu umarmen, zumal Fremde, ist in den letzten Wochen mehr als aus der Mode gekommen. Es ist gefährlich.

Deswegen war ich erstmal vollkommen irritiert, als ich neulich so ein „Free hugs“ Schild gesehen habe. Zuerst dachte ich, jemand hätte es einfach an einen Baum gehängt, weil es nicht mehr gebraucht wird. Aber dann habe ich es verstanden: Das Schild fordert dazu auf, den Baum zu umarmen!

Ist das nicht zu eso-mäßig? Oder irgendwie spleenig? Andererseits: Etwas Lebendiges zu umarmen ist sicher eine gute Alternative zu all dem Abstandhalten dieser Zeit. Ich schaue mich nochmal kurz um, ob ich auch wirklich alleine bin. Dann probiere ich’s aus: Ich umarme den Baum. Eine mächtige Kastanie. Meine Arme passen gerade so drum herum. Die Rinde ist kühl und rauh. Der Wind rauscht in den Blättern. Ganz schön gewaltig so ein Baum.

Ich nehme die Arme wieder weg und lehne mich mit meinem ganzen Gewicht rückwärts an den Stamm. Oben springt ein Eichhörnchen von Ast zu Ast. Ich komme mir winzig vor. Und geborgen. Und gestärkt. Gar nicht schlecht, so einen Baum zu umarmen.

Mit einmal weiß ich wieder, dass der Baum und ich zu Gottes Schöpfung gehören. Und diese Schöpfung ist gut und tut gut. Weil sie lebendig ist. Weil alles- auch ich- aus der Kraft Gottes heraus lebt. Und umarmt. Sogar Bäume.

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