SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

14MAI2020
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Wenn ich abends durch meine Wohnung laufe, dann liegen überall Spielsachen herum, benutztes Geschirr in verschiedenen Räumen und lustige Papierstapel in meinem Schlafzimmer; das Schlafzimmer wird nämlich seit Neuestem auch Homeoffice genannt. Praktischerweise bin ich seit heute früh in meinem Schlafanzug und kann mich nun direkt ins Bett fallen lassen. Nach so einem Tag: voller Arbeit, ungesundem Essen, pädagogisch sinnlosen Beschäftigungen für meine Kinder. Da frage ich mich schon: Warum? Warum bekomme ich das eigentlich nicht besser hin? Brauch ich einfach einen besseren Plan? Oder mehr Disziplin?

Immer wieder lande ich bei derselben Antwort: Ich funktioniere nicht richtig. Wenn ich nämlich in die sozialen Medien schaue, dann sehe ich ganz viele Menschen, die es neben Job und Kindern auch noch schaffen, ein Haus zu bauen, viele Do-it-yourself-Angebote im Netz zu realisieren und in der Coronakrise jemandem was Gutes zu tun. Während es bei den anderen scheinbar rund läuft, spüre ich so krass wie selten zuvor: Ich bekomme in dieser Krise nicht mal meinen Alltag richtig organisiert. Aber ich weiß auch, dass ich damit nicht allein bin – meinem Vater, meiner Freundin, meinem Kollegen geht es genauso. Und ich finde, es ist voll in Ordnung, dass wir nicht sofort auf Krisenmodus umschalten können. Dass wir uns erstmal die Zeit nehmen, uns zu Recht zu finden. Und dabei eben nicht bei jedem Internettrend aufspringen, sondern erst einmal gucken, was uns und unseren Mitmenschen gut tut. Und dazu gehört es eben auch mal, dass ich die Dreckwäsche links liegen lasse und mir Zeit für ein Telefonat mit meiner Freundin nehme. Oder mit meinen Kindern ein Buch lese, statt an jeder Videokonferenz im Homeoffice teilzunehmen. Und dass ich in meinem Freundeskreis schaue, wer denn grad ein offenes Ohr braucht, statt mein Zuhause auf Vordermann zu bringen. Denn das, was uns gerade Sorgen bereitet und das, was uns nun gut tut, darf vorgehen.

Wenn ich in den sozialen Medien bei Prominenten, Freund*innen oder Wildfremden sehe, wie toll es bei ihnen läuft, dann verunsichert mich das total. Obwohl ich doch genau weiß, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. Dass sie nur die guten Momente zeigen und dabei verstecken, was auch bei ihnen schief läuft. Trotzdem weckt das in mir die Erwartung, dass bei mir auch alles toll sein müsste.

Ich funktioniere nicht richtig. Aber egal, wie viel schiefgeht: Ich bin richtig, so wie Gott mich geschaffen hat. Ob mit oder ohne Chaos. Ich bin richtig. Und das gilt jetzt, vor und auch noch nach der Corona Krise.

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