SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

11MAI2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Heute wird meine Tochter fünf Jahre alt. Das ist das Alter, in dem man noch furchtbar stolz ist, dass man älter wird. Doch dieses Jahr gibt es keine große Party. Während sonst zum Geburtstag Freund*innen, Großeltern, Nachbar*innen und Familie bei uns ein und aus gingen, gibt es dieses Mal ein etwas anderes Fest. Nur wir vier: Papa, Mama, Schwester und das Jubelkind selbst. Und das ist auch richtig so!

Natürlich haben wir Eltern den Tag geplant, und eine Party mit drei Gästen kann auch ziemlich vielversprechend werden. Aber wir alle wissen: Die Geburtstagsparty ist wahrlich nicht der größte Verzicht, den Kinder in den letzten Wochen bringen mussten: Spielplätze waren wochenlang geschlossen, die Kita bleibt zu, Treffen mit Freund*innen sind verboten, in den Supermarkt dürfen sie auch nicht mehr mitkommen. Auf öffentlichen Plätzen machen Erwachsene einen Riesenbogen um kleine Kinder, auch ein Lächeln wird ihnen nicht mehr so selbstverständlich geschenkt wie noch vor Corona. Ja, ich weiß: Wir alle sitzen im selben Boot. Wir alle müssen verzichten. Und wir alle können dankbar sein, wenn wir gesund sind und ein Dach überm Kopf haben. Aber ich bemerke immer mehr den Unterschied zwischen meinem Kind und mir in dieser Corona Zeit: Meine Tochter kann sich im Internet nicht neue Bücher bestellen, kann sich im Supermarkt nicht das Essen aussuchen. Sie denkt sich auch nicht: Endlich habe ich mal wieder Zeit, meine Wohnung auszumisten. Und das Schlimmste: Kindergarten und Kontakt zu Freund*innen können sie nicht einfach so ersetzen, wie wir das tun: Sie kann nicht telefonieren. Kann keine Whatsapp Nachrichten schicken, keine Karten schreiben und auch keine Spaziergänge auf Distanz machen. Und trotzdem: Sie jammert nicht, sondern lebt im Moment und erfreut sich an dem, was sie gerade hat und darf. Ich war doch auch mal ein Kind, warum bekomme ich das nicht so gut hin wie meine Tochter? Warum ärgere ich mich mehr über das, auf was ich verzichten muss, als dass ich mich darüber freue, was ich schon alles habe und wie gut es mir geht? Ich glaube, in dieser Zeit kann ich mir so einiges von meiner Tochter abschauen.

Meine Tochter fragt mich oft: Wann darf ich meine Freundin wieder umarmen? Wann darf ich wieder zu Oma und Opa? Wann darf ich wieder in den Kindergarten? Ich kann ihr die Fragen alle nicht beantworten, kann ihr aber sagen, dass sich dieser Verzicht lohnt und wichtig ist. Und dass wir das alles machen, bis alle Menschen sicher sind. Dann lächelt sie mich an und sagt: Das schaffen wir!

Meine Tochter wird heute fünf Jahre alt. Und sie ist wirklich so viel älter geworden in den letzten Wochen. Sie ist verständnisvoll. Sie ist geduldig. Und sie steckt unglaublich viel zurück und jammert dabei nicht. Denn sie will, dass es allen gut geht. Dieses Jahr bin ich mindestens so stolz wie das Geburtstagskind selbst!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30896
weiterlesen...