Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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14MAI2020
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Es gibt ganz viel Einsamkeit. Wir machen uns gar keine Vorstellung davon, wie viele Menschen bei uns unheimlich alleine sind. Und es ist ein Unterschied, ob jemand alleine sein will, oder alleine sein muss.

Es kam wie eine Flut über mich, das Übermaß an Einsamkeit unter so vielen Dächern.
Und wenn das schon in normalen Zeiten ein Problem ist, dann natürlich jetzt in den Corona-Zeiten erstrecht.

Mit einer Frau habe ich lange am Telefon gesprochen. Ihr Mann ist im Altersheim. Und weil sie ihn zur Zeit aber nicht besuchen kann, hat sie ganz großen Kummer. Liebeskummer.

Beide sind fast 90 Jahre alt, haben immer alles geteilt und können jetzt einander nicht sehen. Sie hat mir offen gesagt, dass sie jetzt noch einmal im hohen Alter ganz deutlich spüren kann, wie lieb sie ihn hat. Das hat mich sehr bewegt.

Ich habe sie gefragt, wann sie zuletzt einen Liebesbrief geschrieben hat. Da kam erst einmal ein herzliches Lachen von ihr an mein Ohr und dann musst sie lange überlegen.
„Seit 40 Jahren nicht!“ hat sie dann gesagt. „Dann wird es höchste Zeit!“ habe ich ihr gesagt.

Ich widersprach ihren Befürchtungen, sie hätte das womöglich ganz verlernt. So was verlernt man doch nicht! Sie können das ganz bestimmt. Ein Versuch ist es wert. Sie überlegte. Dann sagte sie entschlossen mit fester Stimme, sie würde jetzt erst mal ein Blatt und einen Stift suchen. Damit ließ sie mich alleine am Telefon zurück, denn sie hatte ja jetzt Wichtigeres zu tun.

Ich wartete noch ein bisschen, ob da noch was kommt. Da kam sie noch einmal kurz zurück, um sich zu verabschieden. Sie war ganz aufgeregt, aber glücklich, glaube ich. Ziemlich sogar. Wie man eben glücklich und aufgeregt ist, wenn man einen Liebesbrief schreibt.

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