SWR2 Wort zum Tag

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13MAI2020
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Vor Kurzem habe ich einen Text über den Zölibat geschrieben. Dafür habe ich viel darüber gelesen wie die Kirche über Sexualität denkt. Und teilweise bin ich wirklich erschrocken. Nicht weil die Kirche kritisch mit Sexualität umgeht, sondern weil in den Texten zum Teil der Leib regelrecht als Feind angesehen wird. Und damit auch die Sexualität. Da geht es um Sünde und Schuld. 

Dabei sind wir doch leiblich geschaffen und glauben, dass Jesus mit Seele undLeib auferstanden ist. Warum soll der Leib dann so sehr verachtet werden? Ich hatte das Gefühl, dass da was nicht stimmt. Mir war das viel zu übertrieben. 

Ein paar Wochen zuvor war ich auf einer Party, auf der auch viele Jugendliche gewesen sind. Ein Junge, vielleicht 17 Jahre alt, hat mich in ein Gespräch verwickelt. Er hatte einen großen Knutschfleck auf dem Hals. Und bei dem, was er mir erzählt hat, ging es hauptsächlich um diesen Knutschfleck: wo seine Hände gewesen waren, als er den Fleck bekommen hat. Und er hat mir von verschiedenen Pornoclips erzählt und fing an sie mir auf seinem Handy zu zeigen. 

Und wieder hatte ich das Gefühl, da stimmt etwas nicht, und ich dachte: das ist übertrieben. 

(Wir haben als Jugendliche auch nachts alberne Erotikfilmchen wie „Auf der Alm da gibt’s koa sünd“ oder „Ach jodel mir doch einen“ angeschaut. Offenbar ist das so, dass Jugendliche das tun. Das heißt natürlich nicht, dass es so sein muss.) 

Interessant ist für mich gewesen, dass ich bei beidem dasselbe Gefühl hatte; bei der Katholischen Sexualmoral wie bei den Pornos: Dass da was übertrieben ist. Und ich habe den Eindruck, dass beides miteinander zusammenhängt. Vielleicht bedingt es sich sogar gegenseitig. Beides gibt dem Sex eine viel zu große Bedeutung, die er meiner Ansicht nach gar nicht braucht. 

Also: Sex ist wirklich was Schönes, aber es gibt noch andere Dinge. Und wenn man das Thema so überbewertet, dann bekommt man schnell extreme Reaktionen. Auf der einen Seite die Verdammung, auf der anderen der Exzess. Es ist übertrieben sich nur im Dunkeln auszuziehen, aber man muss auch nicht mit nackten Frauen für Margarine werben. Und ich glaube, es würde vielen Menschen besser gehen, wenn wir einen entspannteren Umgang mit Sex hätten. Ich denke, viele leiden, weil sie die Sexualmoral der Kirchen zu ernst nehmen und ihr nicht gerecht werden können. Und deswegen verachten sie sich selbst. Und auf der anderen Seite: Ich glaube, dass viele Menschen, vor allem junge, genauso leiden. Darunter, dass sie den ästhetischen oder akrobatischen Anforderungen, die ihnen die Pornofilme als normal präsentieren, nicht nachkommen können. Sie bringen nicht die Leistung und verachten sich dafür. 

Noch einmal: Sex ist etwas Schönes. Er ist nichts Verdorbenes, aber auch nicht das Größte auf der Welt. Und am allerschönsten ist er ohne Leistungsdruck und ohne Schuld.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30872
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