SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

05MAI2020
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Es gibt so vieles, was ich nicht muss. Das habe ich in dieser Corona-Krisenzeit gelernt. Natürlich weiß ich, dass diese Zeit für viele sehr schwierig ist. Für alle, die in Pflegeberufen arbeiten. Für jene, die erkrankt sind oder für die, die jetzt keine Arbeit mehr haben oder sich um ihre wirtschaftliche Existenz sorgen. Um diese Menschen sorge ich mich auch. Wie dankbar bin ich, dass ich mir um mich keine Sorgen machen muss. Aber auch ich spüre die Folgen der Krise. Und was ich erlebe, macht mich nachdenklich.

Dabei habe ich dann auch das entdeckt: Es gibt vieles, was ich gar nicht muss. Vor dieser Zeit war vieles für mich selbstverständlich: Es gab so viele berufliche Termine, Sitzungen und Besprechungen, die alle dringend waren. Samstags um 18:00 Uhr musste ich unbedingt die Sportschau gucken. Und es war eine feste Gewohnheit, dass meine Frau und ich ab und zu abends mal ausgingen. Und dann hat das alles auf einmal aufgehört. Die dringenden Sitzungen waren gar nicht mehr so dringend und vieles ließ sich auch anders besprechen. Samstags konnte ich um 18:00 Uhr auch auf meiner Terrasse sitzen und das schöne Wetter genießen. Und ein Glas Wein können meine Frau und ich auch auf dem Sofa zusammen trinken.

Es gibt so vieles, was ich nicht muss. Früher bin ich oft von einer Sache zur nächsten gehetzt. Ich habe den Tag mit vielen Tätigkeiten angefüllt und war gleichzeitig traurig über alles das, was ich nicht auch noch tun und erleben konnte. Heute hat sich meine Perspektive geändert: Ich ärgere mich nicht mehr über das, was ich alles versäume, sondern ich freue mich an dem, was möglich ist. Ich denke dabei manchmal an die Geschichte, die von einem gestressten Manager erzählt wird. Der war kurz davor, wegen seiner vielen Arbeit körperlich und psychisch zusammenzubrechen. Da hat er sich entschlossen für ein paar Tage in ein Kloster zu gehen. Die Mönche nahmen ihn sehr freundlich auf. Einer der Mönche brachte ihn in sein sehr karges Zimmer. Da waren nur ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch und ein paar Kleiderhaken an der Wand. Der Manager erschrak zuerst. Da sagte der Mönch: „Wenn sie etwas brauchen, dann sagen sie es. Wir zeigen Ihnen dann, wie sie darauf verzichten können.“

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