SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

23APR2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Manchmal ist es hilfreich, die Perspektive zu wechseln. In der Seelsorge und in manchen Psychotherapeutischen Richtungen nennt man das Reframing. Einen neuen Rahmen finden für ein Ereignis. Beispiel: Die Kar- und Osterwoche. Wahrscheinlich bin ich als Baby noch nicht mit in den Karfreitagsgottesdienst mitgenommen worden, doch so weit ich bewusst denken kann, gehören die Gottesdienste an Karfreitag und Ostern zu meinem Leben dazu. Dieses Jahr war alles anders. Ich will es nicht schönreden. Mir hätte es sehr viel besser gefallen, wenn ich diese Gottesdienste mit allen Sinnen hätte miterleben können. So saß ich auf dem Sofa, sah mir die Fernsehgottesdienste an und konnte nicht mit anderen Christenmenschen gemeinsam Abendmahl feiern.

Auf der anderen Seite: Mir ist der gemeinsame Gottesdienst dadurch wieder richtig kostbar geworden. Und ich habe sehr viel anrührende Geschichten davon gehört, wie Pfarrerinnen und Pfarrer mit dieser Krise umgegangen sind. Ein alter Jesuit, den ich kenne, hat in seinem Zimmer jeden Tag Eucharistie gefeiert, an die Menschen, die er sonst betreut, gedacht und sie auf seine Weise in die Gemeinschaft mit Christus eingebunden. Ich habe an Ostern am offenen Fenster „Christ ist erstanden“ gesungen. Mich haben viele Menschen darauf angesprochen, dass ihnen die Gottesdienste gefehlt haben – ich weiß nicht, ob das ohne Corona sonst so Thema geworden wäre. Mir ist auch noch einmal klar geworden, warum sich Menschen über alle Jahrhunderte hinweg solche Mühe gegeben haben, miteinander Gottesdienst feiern zu können und dies auch in Krisenzeiten nicht lassen wollten. In meinem früheren Pfarrhaus z.B. traf sich während der Nazizeit heimlich die bekennende Gemeinde und feierte dort. Russlanddeutsche haben mir vielfach handgeschriebene Liederbücher gezeigt, die sie in ihren Hausandachten genutzt haben, als Gottesdienste in der Sowjetunion verboten waren.

Die erzwungene Abstinenz während Corona wirkt ein bisschen wie eine Fastenzeit der eigenen Art. Nach dem Fasten genießt man das, auf was man vorher verzichtet hatte, ganz bewusst und neu. Wie köstlich ein Apfel schmecken kann weiß man erst, wenn man den Geschmack nach einer Fastenzeit kostet. Reframinig nach Corona kann bedeuten, dass wir Gottesdiente ganz neu genießen können. Auf jeden Fall: Ich freue mich schon jetzt auf das nächste Abendmahl.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30769
weiterlesen...