SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

24APR2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

In Mauretanien, irgendwo im Nordwesten Afrikas war Katharina beruflich unterwegs. Bei mauretanischen Nomaden machte sie kurz Halt auf ihrer Reise: Sand, Zelte, Kamele. Und eine Horde Kinder. Wie Kinder so sind, waren sie neugierig: nicht nur, dass Katharina aus einer anderen Welt kam, sie sah auch total fremd aus: lange blonde Haare, blaue Augen, blasse Haut. Katharina machte sich einen Spaß daraus: lugte ein Kind neugierig zwischen den Zelten hervor, rief sie laut: „Kuckuck“, wagte sich ein Kind von hinten an sie heran, drehte sie sich plötzlich um: „Kuckuck“. Schreiend liefen die Kinder weg. Béchir, ihr Chauffeur und Reiseführer erklärte ihr, dass die Kinder, wenn Katharina ihnen „Kuckuck“ zuruft, „Gougou“ verstehen, und da Gougou der Name für den Teufel sei, würden die Kinder denken, sie sei ein Dämon.

Katharina verbrachte eine kalte Nacht in der Wüste bei den Nomaden. Als am nächsten Morgen die Kinder in ihr Zelt guckten, ob sie noch da sei, rief sie ihnen ein fröhliches „Kuckuck“ zu. Die Kinder waren hin- und hergerissen: das einzige Wort, das dieses freundliche Wesen spricht, ist der Teufel. Die Erwachsenen, die Eltern haben Katharina bei sich übernachten lassen, teilten das Essen mit ihr – und die Angst und das Grauen der Kinder, langsam sind sie verschwunden. Die ganz Mutigen trauten sich sogar Katharina anzufassen, ihre Haare zu streicheln. Langsam verwandelte sich die Angst in ein Spiel, ausgelassen lachten sie und hüpften um Katharina herum. Zum Abschied hat Katharina ihnen noch einmal „Kuckuck“ aus dem fahrenden Auto zugerufen.

Die Kinder sind wie befreit: von nun an können sie ohne Angst sehen, verstehen und anfassen, was sie vorher für einen teuflischen Dämon gehalten haben. Das Fremde macht immer nur Angst, solange wir Angst vor dem einzelnen Fremden haben.

Inspiration: Jean Teulé, Comme une respiration, Editions Julliard, Paris, 2016.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30749
weiterlesen...