SWR1 Begegnungen

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13APR2020
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Und mit Anna Werle. Sie ist Pastoralreferentin und Notfallseelsorgerin.

Notfallseelsorge ist Krisenseelsorge. Sie ist darauf ausgerichtet, Menschen in akuten Not- und Ausnahmesituationen zu beraten und zu stützen, also etwa Opfern, Angehörigen oder Helfern bei schweren Verkehrsunfällen oder bei anderen traumatischen Erlebnissen beizustehen, etwa bei plötzlichem Kindstod oder Suizid. Informiert und angefordert werden Notfallseelsorger von den jeweils zuständigen Leitstellen, also Feuerwehr, Polizei oder Rettungsdienste. 

Anna Werle ist seit einem Vierteljahrhundert in der Notfallseelsorge engagiert, neben ihrer normalen Arbeit als Seelsorgerin im Hunsrück-Dekanat Simmern-Kastellaun und als Ökumenereferentin des Bistums Trier. Gleich zu Beginn unseres Gesprächs korrigiert sie mein Vorurteil, Notfallseelsorge finde vor allem auf der Straße, bei Verkehrsunfällen statt. 

Ich hatte in den 25 Jahren, 26 Jahren einen Verkehrsunfall, das kann jetzt Zufall bei mir sein, aber ich stand tatsächlich einmalauf der Hunsrückhöhenstraße. 

Viel häufiger ist sie mit Suizid in Kontakt gekommen, musste Menschen beistehen, die einen Angehörigen durch Selbsttötung verloren hatten.

Ich stelle es mir ungeheuer schwer vor, Menschen in solchen Situationen zu begegnen. Was macht man da, was kann man machen?    

Also ich sag eigentlich normalerweise, ich geh mit mir selber dorthin. Das heißt, ich geh in die Situation und guck, wie geht’s den Menschen, den Angehörigen, den Betroffenen, was kann ich machen, wie kann ich sortieren, und es geht meistens drum, die Situation mit auszuhalten. Also bei Suizid, das ist sehr verheerend für Angehörige, das ist auch nicht abzuschließen. Ansonsten bei Überbringung von Todesnachrichten oder sonstiges, ich weiß in dem Moment, wo wir klingeln, dass wie ein zerbrochener Spiegel, das Leben wie es bisher für die Angehörigen war, zu Ende ist 

Natürlich hat sie sich auch intensiv mit der Frage beschäftigt, wie es zu einem Suizid kommen kann. 

Also Suizid entwickelt sich als Idee oft, ist eigentlich als Hintergedanke auf dem Lebensweg für Menschen drin gewesen. Es ist auf jeden Fall für denjenigen oder diejenige, die Suizid begeht, eine Problemlösung. Dass das für Angehörige verheerend ist, nicht zu lösen ist, ist für den Suizidanten nicht im Blick. 

Und wie sehen die Reaktionen von Angehörigen aus, wenn sie mit der Nachricht kommt? 

Also es gibt ja in Tatorten oder Krimis öfters sehr realistisch angezeigte Reaktionen, wo Leute dann von der Tür weggehen und machen dann was ganz Alltägliches, als wär man gar nicht da gewesen. Das ist so eine von den Möglichkeiten. Ich bin einmal einer Frau nachgelaufen bis durch das Haus durch in den Garten, die hat nur das Setting gesehen, jemand in Zivil, zwei von der Polizei, der war sofort klar, irgendwas ist passiert, die ist weggelaufen, ja. Ansonsten setzt meistens ne Verdrängung ein, sodass man noch die Möglichkeit hat, Angehörigen zu sagen, setzen sie sich bitte hin, ich habe ne schlechte Nachricht für Sie. 

Was Notfallseelsorge mit Anna Werle als Mensch und als Glaubende macht, dazu mehr nach dem nächsten Titel   

Teil 2 

Anna Werle ist Notfallseelsorgerin. Und das seit über 25 Jahren. Es gab Jahre, da waren es schon mal acht bis zehn Einsätze pro Jahr, manchmal auch weniger. Natürlich geht ihr jeder neue Einsatz unter die Haut, muss verarbeitet werden, oft denkt sie noch länger darüber nach, ob sie alles bedacht und richtig gemacht hat, manchmal ist einfach Ablenkung a gesagt hinterher. Natürlich gibt es auch Seelsorgeangebote für den Seelsorger, Supervision. Aber es gibt auch in Anführungszeichen schöne Momente, erzählt Anna Werle, etwa wenn ihr eine Frau eine Karte schreibt und sich dafür bedankt, dass sie sie so festgehalten hat, während ihr Mann reanimiert wurde. 

Anna Werle ist Pastoralreferentin, hat Theologie studiert und sich also auch wissenschaftlich mit der Gottesfrage beschäftigt. Die Erfahrungen der Notfallseelsorge haben ihren Glauben durchaus verändert, bekennt sie. Wichtig ist ihr, … 

dass Glaube sich im Alltag bewähren muss! Das heißt, ich bin weg von irgendwelchen theologischen Plattitüden, also es muss wirklich halten. Also wenn Eltern zu mir sagen, ah, Karfreitag, Kinder, das ist zu belastend, wo ich dann sage, das müssen Kinder erleben dürfen, dass Menschen scheitern, dass es Ungerechtigkeit gibt und dass es ne Aussicht auf ein anderes Leben gibt oder dass wir eine Zusage haben, dass Gott mitgeht. Also dass dieser Weg aus diesem Wahnsinn, aus diesem Scheitern, aus diesem Tiefpunkt auch noch mal rausgeht, das müssen Kinder erleben dürfen. Die müssen auch erleben dürfen, das gibt’s auch bei anderen Leuten: Scheitern. 

Und was trägt, was hält sie? Es ist die Erfahrung, … 

dass Gottes Hände weiter gehen als unsere menschlichen Hände. Gottes Hände sind da. 

Und was heißt Ostern für sie? 

Dass es mehr gibt als unser Leben, dass es mehr gibt als das was wir Menschen packen und planen können und dass wir uns darauf verlassen können, auch wenn Verlust verheerend ist. Dass niemand verloren geht. 

Und Auferstehung?

Also für mich persönlich heißt es, bei Gott ankommen. Dieses Aufgehoben sein in Gott, nicht verloren zu sein, also nicht vergessen, nicht verloren, nicht umsonst, sondern aufgenommen, und auch: Es gibt ein Aufgehoben sein in Schuld, also auch die ist gegriffen, es bleibt nichts an Schuld. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30712
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