Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Ihr redet immer von Vergebung“, sagt ein junger Häftling nach dem Gottesdienst, „Vergebung, Vergebung, Vergebung... Was ist das eigentlich, Vergebung?“ Der Pfarrer überlegt einen Augenblick. Dann fragt er:
„Wie heißen Sie?“
„Daniel.“
„Und wie lange haben Sie noch?“
„Sieben Wochen und drei Tage.“
„Also, stellen Sie sich vor, es kommt der Tag Ihrer Entlassung…“
„Das stelle ich mir andauernd vor.“
„…Sie bekommen Ihre Sachen wieder, spazieren zur Gefängnistür heraus und treten ins Freie. Und da warten Sie, dass Sie jemand abholt. Und während Sie so warten, kommen Ihnen ein paar Gedanken:
Wie wird das jetzt? Kann ich wirklich von vorne anfangen? Wird mich die Vergangenheit nicht immer wieder einholen? - Das geht Ihnen so durch den Kopf, während Sie da draußen warten.
Und stellen Sie sich jetzt weiter vor, da stünde plötzlich einer neben Ihnen, einer, dem Sie augenblicklich vertrauen, sie können selbst nicht sagen warum. Und der sagt:
Daniel, ich kenne dich. Ich weiß, was du gemacht hast und man hat dich bestraft dafür. Aber ich habe auch gesehen, wie Leid es dir tut; und was du dafür geben würdest, um alles ungeschehen zu machen.
Deshalb will ich dir eine neue Chance geben:
Was immer dich belastet – ich bin da. Und wenn du an das Schlimme denkst, was du gemacht hast, dann sollst du wissen: ich trage es mit dir. Denn ich will nicht, dass du daran zerbrichst; ich will, dass du lebst.“
Der Pfarrer macht eine kleine Pause.
„Daniel – das ist Vergebung.“
Der Häftling sieht eine Weile schweigend vor sich hin. Schließlich nickt er:
„Wenn einem der ganze Mist vergeben wird, dann ist man nicht nur `draußen´, wenn man aus dem Knast kommt, dann ist man wirklich frei.“
„Ja.“
„Aber woher weiß ich, ob mir vergeben wird?“
„Du kannst Gott darum bitten.“
„Können Sie mir dabei helfen?“
So kam es, dass der Pfarrer an diesem Sonntag etwas später nach Hause kam. Aber er war sehr glücklich.
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