Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

07APR2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Das muss schon ein sehr intensiver Traum gewesen sein, den sie da gehabt hatte. Und er muss sie sehr erschreckt haben. Denn sie hat nichts Besseres zu tun, als sofort ihren Mann zu benachrichtigen. „Stell dir mal vor, was ich geträumt habe…“. Gerne würde ich die Frau bei ihrem Namen nennen, aber leider hat sie keinen. Die Bibel, in der von ihr erzählt wird nennt sie nur die „Frau des Pilatus“. Eine echte Randfigur in der Passionsgeschichte vom Leiden und Sterben des Jesus von Nazareth. Daran denken die Christen überall auf der Welt in dieser Woche vor Ostern besonders. Und es kann ganz interessant sein, mal zu schauen, was diese Randfigur mir über 2000 Jahre hinweg erzählen kann. Die Frau des römischen Statthalters in Jerusalem ahnt irgendwie, dass mit dem Urteil über diesen Jesus aus Nazareth etwas nicht stimmen kann. Und das beschäftigt sie anscheinend so stark, dass sie sogar davon träumt. Und sie lässt ihren Mann mitten im Prozess davon unterrichten. „Lass die Hände von diesem Jesus, er ist unschuldig. Ich hatte heute Nacht seinetwegen einen schrecklichen Traum“ (Mt27,19).  Man stelle sich das einmal vor! Ein Unding! Sich in die offiziellen Geschäfte des Statthalters einzumischen. Weil sie geträumt hat. Von Pilatus heißt es in einem offiziellen Brief nach Rom: „Er war von seinem Charakter unbeugsam und rücksichtslos hart.“ Und trotzdem wischt seine Frau alle Bedenken und Hindernisse beiseite, um ihn vor einem Fehlurteil zu warnen. Damit riskiert sie Kopf und Kragen. Und sie steht allein mit ihren Bedenken. Ihr Mann wird seine eigenen Zweifel fallen lassen und das tun, was politisch gefordert wird. Er plädiert für schuldig. Zumal es aus dem Mund der Masse nur noch heißt: „Ans Kreuz mit ihm!“ Eine einzige Stimme sagt etwas anderes, die der Frau des Pilatus: „Lasst die Hände von diesem Gerechten, er ist unschuldig.“ Sie spürt den Widerspruch zwischen Anklage und Wirklichkeit. Sie hört auf ihre innere Stimme und nimmt sie ernst. Wie oft ertappe ich mich dabei, dass ich sage: „Ich habe es gedacht, aber nichts gesagt“. Was für ein Unterschied. Die Frau des Pilatus scheint bereit zu sein, alles in Kauf zu nehmen, damit es auf der Welt gerecht zugeht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30697
weiterlesen...