SWR4 Abendgedanken

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16APR2020
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Weißer Turm auf Feld B Zwei. Dort steht die Schwarze Dame. Bei einem normalen Schachspiel wäre die Dame jetzt geschlagen und aus dem Spiel. Aber bei dieser Schach-Variante passiert etwas Anderes. Ich spiele Friedensschach. Das geht mit den bekannten Schachfiguren und Regeln. Die Figuren sind aber so geformt, dass sie sich umarmen können. Denn wenn zwei auf demselben Feld stehen, wird keine geschlagen, sondern die beiden Figuren verbinden sich. Und ab sofort kann diese Verbindung von beiden Spielern bewegt werden. Einfach auflösen kann man sie nicht. Und es muss eben niemand vom Brett. Umarmen statt schlagen – Harmonie statt Kampf. 

Es ist trotzdem oder gerade deswegen echt spannend und dynamisch. Gewonnen hat, wer den gegnerischen König in eine Verbindung bekommt. Es gibt also einen klaren Sieger, aber anders als beim normalen Schach bleiben beide bis zum Schluss mit allen Figuren dabei.

Das Spiel heißt Paco sako – übersetzt „Friedensschach“. Felix Albers, ein niederländischer Künstler, hat es vor ein paar Jahren erfunden. Schach begeistert ihn: Man muss knobeln und taktieren. Das wollte er seinem Sohn vermitteln. Aber er sollte Spaß am Schach haben, ohne kämpfen zu müssen und aggressiv zu spielen. So kam ihm die Idee zum Friedensschach. 

Ich bin davon sehr beeindruckt. Und ich würde das gern vom Spielbrett auf meinen Alltag übertragen. Denn ich kann Konflikte nur schwer aushalten und versuche sie deshalb ganz zu vermeiden oder so schnell wie möglich zu lösen. Wenn mir etwas nicht so wichtig ist, gebe ich einfach nach. Dann bekommt der andere seinen Willen und wir müssen uns nicht lange streiten. Wenn ich mich durchsetzen will, lege ich mir vorher viele Argumente zurecht. Im Gespräch versuche ich dann, den anderen zu überrumpeln, damit ich gewinne. So oder so ist der Konflikt dann meistens schnell vorbei. Aber so richtig zufrieden bin ich damit nicht.

Manchmal merke ich dann hinterher, dass die schnelle Lösung nicht die beste war. Dass es sich gelohnt hätte, wenn wir länger nach einer Alternative gesucht hätten. Beim Friedensschach klappt das: Hier gehe ich den Konflikt so an, dass wir beide im Spiel bleiben und wir miteinander um die beste Lösung streiten. Am Ende setzt sich zwar einer durch und gewinnt, aber niemand wird vernichtend geschlagen.

Friedensschach kommt gut an. Auf vielen Spielbrettern schlagen sich die Figuren nicht mehr, sondern verbinden sich und ringen miteinander, wer die beste Taktik hat. Es wäre doch genial, wenn man das eins zu eins auf unser Leben übertragen könnte und das zwischen uns Menschen auch immer mehr klappt. Wenn wir uns verbinden und gemeinsam nach Lösungen suchen. Die Corona-Krise zeigt ja gerade, wie wichtig das ist, um diese Zeit zu meistern.

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