SWR3 Gedanken

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16APR2020
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Mein Schwager Miguel hat eine interessante Angewohnheit. Wenn ich ihn beim Essen frage, ob er mir den Salat mal reichen könnte, dann nimmt er die Schüssel nicht einfach nur in eine Hand, sondern in beide Hände und gibt sie mir rüber. Er sagt, das ist ein Zeichen für Respekt und Wertschätzung – mir und dem Lebensmittel gegenüber. Das funktioniert natürlich nicht überall, aber besonders beim Essen oder wenn er beispielweise ein Geschenk überreicht, dann ist ihm das wichtig.

Ich finde das eine schöne Angewohnheit. Wenn ich etwas mit beiden Händen festhalte, dann ist mir ganz besonders wichtig, dass es nicht runterfällt oder kaputtgeht. Das zeigt, dass es mir etwas wert ist. Den Salat hat jemand gepflanzt, gehegt, geerntet und zubereitet. Wäre schade drum, wenn der jetzt auf dem Boden landet.

Und noch etwas: Wenn Miguel mir die Schüssel mit beiden Händen reicht, dann dreht er sich automatisch zu mir hin. Mal zwischendrin schnell etwas weiterreichen und dabei weiteressen geht so nicht. Er schenkt mir ein klein bisschen mehr Aufmerksamkeit, wenn er das mit beiden Händen macht. Ein einfaches und schönes Zeichen.

Mein Schwager Miguel ist in Ghana aufgewachsen, und er sagt, bei ihm in der Familie hat er das so gelernt und viele machen das so. Seitdem ich das weiß, versuche ich ihm die Salatschüssel, wenn es geht auch mit beiden Händen zu geben. Dann zwinkere ich ihm zu, er zwinkert zurück, wir lachen beide und irgendwie ist jedes Mal klar, was wir beide denken: Schön, dass wir hier zusammen am Tisch sitzen. Der Salat ist wertvoll und du auch.

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