SWR3 Gedanken

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13APR2020
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Während des Studiums habe ich in einem Freiburger Stadtteil gelebt, über den hatte ich vorher nur miese Geschichten gehört. Nicht wirklich schön, nicht gerade sauber, sozialer Brennpunkt – kurz: Ein Problemviertel. Dann bin ich dort hingezogen und habe wunderbare Menschen kennengelernt. Mir ist der Stadtteil in der Zeit richtig ans Herz gewachsen. Wenn jetzt jemand von dem Viertel abschätzig redet, will ich direkt etwas dagegensetzen und sagen, wie wohl ich mich dort gefühlt habe, und dass ich viele gute Geschichten von dort kenne.

Chimamanda Adichie ist Schriftstellerin und sie sagt: „Es ist gefährlich, wenn man über etwas nur eineGeschichte erzählt.Und wenn wir uns klar machen, dass es niemals nur eine einzige Geschichte gibt, über keinen Ort, über keinen Menschen, dann erobern wir ein Stück vom Paradies zurück.“[1]Ich glaube damit hat sie recht. Geschichten wie die vom Freiburger „Problemviertel“ machen mich manchmal richtig blind. Ich sehe dann nur noch diese eine Geschichte. Und je öfter ich sie höre, desto mehr bin ich selbst davon überzeugt: Soist das und nicht anders!

Genauso geht es mir leider auch manchmal mit Menschen. Ich höre eine schlechte Geschichte über jemanden und schon ist das so präsent, dass es alles andere an diesem Menschen überdeckt. Mir fällt es dann schwer, unvoreingenommen in ein Gespräch zu gehen. Wenn ich aber mit der Person rede, wird mir oft klar, da gibt es auch ganz andere Geschichten, die werden nur selten erzählt.

Ich möchte mir gerne ein Stück vom Paradies zurückzuerobern: Ich werde in Zukunft versuchen, immer mindestens zwei Geschichten zu hören, bevor ich mir überhaupt ein Urteil über jemanden erlaube.

 

[1]Vgl. The danger of a single story (Chimamanda Ngozi Adichie | TEDGlobal 2009) https://www.ted.com/talks/chimamanda_ngozi_adichie_the_danger_of_a_single_story?utm_source=tedcomshare&utm_medium=email&utm_campaign=tedspread

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30644
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