SWR2 Wort zum Tag

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28MRZ2020
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Nah ist / und schwer zu fassen der Gott“ – so beginnt der späte Hymnus „Patmos“ von Friedrich Hölderlin. Es ist jenes Gedicht, dem eine der bekanntesten Zeilen Hölderlins entnommen ist, die viele als Redensart kennen: „Wo aber Gefahr ist, wächst / das Rettende auch.“ Vielleicht ein tröstlicher Gedanke, gerade in diesen herausfordernden Zeiten!

In seinem Gedicht „Patmos“ beschreibt Hölderlin die Sehnsucht des Menschen nach Gottesbegegnung und er erzählt von der Erfüllung solcher Sehnsucht. Dabei tauchen biblische Bilder auf, von Christus, seinem Leben, Sterben und Auferstehen – bei Hölderlin immer auf eine für ihn ganz eigentümliche Weise vermischt mit der Götterwelt des antiken Griechenlands.

„Nah ist / und schwer zu fassen der Gott“ – dieses Gefühl kenne ich auch. Ich kenne Zeiten der Gottesgewissheit in mir, der Verbundenheit mit Gott im Medium biblischer Geschichten oder im Gebet. Aber es gibt eben auch diese Kehrseite in mir: Gott und seinen Willen nicht zu begreifen, zum Beispiel in diesen Tagen der Corona-Plage. Das Gefühl, nicht zu wissen, wer er eigentlich ist und wo er zu finden sei.

Friedrich Hölderlin, der vor 250 Jahren in diesen Märztagen geboren wurde, hat ein Leben lang mit der Religion und dem Gottesglauben gerungen. Pfarrer hätte er werden sollen – nach dem Willen seiner pietistischen Mutter; doch diesem Ansinnen hat er sich konsequent entzogen, bis zuletzt in seiner Einsiedelei in jenem Tübinger Turm, unter der Maske eines Verrückten. Und doch hat er die Religion nicht aufgegeben, besser: sie hat ihn nicht losgelassen. Nur: er musste seinen eigenen Zugang zu ihr finden.
Und es ist erstaunlich, wie viel Frömmigkeit sich in Hölderlins Gedichten findet.

Die Ambivalenz menschlicher Gotteserfahrung hat er jedenfalls treffend auf den Punkt gebracht – und erinnert mich dabei manchmal an den Beter des Psalms 139 aus der Bibel. Auch er kann Gott nur schwer fassen, schwer begreifen, und flieht sogar vor einer bedrängenden Nähe Gottes, um schließlich erkennen zu müssen: einen Zufluchtsort vor der Gegenwart Gottes gibt es nicht. Doch am Ende seines Weges steht dann eine andere Einsicht: das Gefühl, nicht verloren, sondern von Gottes guter Macht gehalten zu sein, umfangen zwar, aber auch geborgen.

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