SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

17MRZ2020
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Manchmal macht mich eine Nebensächlichkeit besonders nachdenklich. Im Neuen Testament wird erzählt, dass Jesus einmal zehn Aussätzige heilt. Diese Leute haben vermutlich eine ansteckende Hautkrankheit gehabt. Und solange das jeder sehen konnte, galten sie als unrein, d.h., sie wurden aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Damals war es selbstverständlich, dass sie sich so auch nicht vor Gott blicken lassen können. Sie durften also nicht in den Tempel. Als Jesus diese zehn Männer geheilt hat, schickt er sie deshalb zum Priester, damit dieser sie wieder für gesund und rein erklären kann. Und alle gehen dorthin und werden vom Priester für rein erklärt. Was der Priester da tut, ist nebensächlich. Aber eben an dieser Stelle doch sehr wichtig. Er soll den Leuten sagen, dass sie wieder rein sind.

Das Besondere ist für mich, dass die Vertreter der Religion sich hier nicht zwischen die Leute und Gott stellen, sondern ihnen den Zugang zu Gott ermöglichen. Ich habe es leider oft anders erlebt. Vertreter der Religion nutzen ihren Status als Experten in Glaubensfragen aus und stellen sich wie Richter über die anderen Menschen. Und wenn diese etwas getan haben, was diesen selbst ernannten Richtern als Fehler erscheint, schließen sie sie auf Dauer aus der Gemeinschaft aus. Dabei ist die Botschaft des christlichen Glaubens das pure Gegenteil. Wenn Jesus auf die Aussätzigen zugeht, macht er das ja, weil er überzeugt ist, dass Gott niemanden ausschließen will. Sondern dass Gott die Beziehung zu jedem Menschen sucht. Der Auftrag der offiziellen Religionsvertreter wäre deshalb, den Menschen den Kontakt zu Gott zu eröffnen, anstatt sie auszuschließen. Ich denke, diese priesterliche Aufgabe gilt für jeden ganz normalen Christen. Für mich ist das als Lehrer eine besondere Herausforderung. Ich habe jeden Tag mit Schülern zu tun. Und es gehört zu meinem Alltag, dass ich sie erwische, wenn sie sich nicht an Regeln halten und gegen die Hausordnung verstoßen. Und gerade dann finde ich es wichtig, dass ich mich an Jesus orientiere. Also versuche, nicht nur das zu sehen, was die Schüler falsch gemacht haben. Sondern ihnen immer auch das Gute zutraue. Sie werden sich dann eher zum Positiven verändern, wenn sie selbst an sich glauben und sich sagen können: Was immer ich auch verbockt habe, ich bin okay so wie ich bin und so kann ich mich vor Gott und den anderen sehen lassen.

Weil das eine tägliche Herausforderung ist, die in der Alltagsroutine leicht untergeht,  lasse ich am Ende eines Tages manchmal solche Situationen Revue passieren. Und schaue wo ich einer hätte sein können, der seinen Schülern sagt: Du bist in Ordnung und was Du auch tust, es kann wieder gut werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30577
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