SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

15MRZ2020
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Wenn Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, jetzt meinen Sonntagsgedanken zuhören, bin ich gerade mit einer Gruppe in Griechenland. Wir suchen die Spuren des Apostels Paulus. Drei Orte sind mir besonders wichtig. Sie geben einen Impuls für Fragen, die Menschen in der Gesellschaft wie in der Kirche umtreiben.

Heute sind wir in Philippi. Hier hat sich die erste europäische Christengemeinde getroffen – und zwar im Haus einer kleinasiatischen Purpurhändlerin, der Lydia aus Thyatira.

Ich denke gern an sie, denn sie ist die erste Gemeindeleiterin oder sozusagen Pfarrerin. In meiner Kirche gibt es zwar Gemeinde- und Pastoralreferentinnen, aber noch keine Pfarrerinnen. Das schmerzt mich. Dabei habe ich mit der ersten evangelischen Dekanin Württembergs vor 50 Jahren einen gemeinsamen Gottesdienst in der Schlosskirche Weikersheim gehalten. Das war richtig bewegend, und deshalb hätte ich auch gern Pfarrerinnen in meiner Kirche. 

Ich kann mich da auf Paulus berufen. Er hat Lydia in Philippi als erste Christin fürs Evangelium gewonnen. Er ist sogar in ihr Haus gegangen, als sie ihn darum gebeten hat. Normalerweise hat Paulus als jüdischer Mann nicht das Haus einer Frau betreten. Lydia muss eine starke Frau gewesen sein, sonst hätte Paulus nicht seine jüdischen Gepflogenheiten über den Haufen geworfen. Er ist dann mit seinen Begleitern mehrere Tage im Haus der Lydia geblieben. Dort hat sich die Gemeinde versammelt und auch für Paulus gebetet, als er wegen seines Glaubens (kurz) ins Gefängnis kam.  

Der zweite Ort auf unserer Reise, der mich besonders bewegt, ist Korinth, die berühmte Hafenstadt der Antike. ((Warum?)) Weil der Apostel Paulus dort einen Streit schlichten musste. Vier Gruppen von Christen haben sich gegenseitig den Glauben abgesprochen. Jede hat sich für besser als die andere gehalten.

Das ist für mich ein wichtiger Impuls. Die verschiedenen Konfessionen der Christen bekämpfen sich heute - Gott sei Dank – nicht mehr wie früher. Stattdessen sind wir dankbar für die Vielfalt. Uniformität ist nicht das Ziel, auch wenn manche das immer noch möchten. „Einheit in der Vielfalt“ oder „Versöhnte Verschiedenheit“ sind Modelle für heute. Gottes Liebe ist so vielfältig, dass eine einzige Konfession sie gar nicht zu fassen vermag. Deshalb ist es schön, dass es verschiedene Konfessionen gibt. Sie haben verschiedene Akzente. Aber Jesus Christus ist es, der alle verbindet. Das heißt für mich heute: Ich sehe die bilderreiche Liturgie der orientalischen Kirchen, ich sehe die reformatorischen Kirchen, die den Glauben des Einzelnen akzentuieren, ich sehe die Freikirchen mit ihren charismatischen Impulsen und ich sehe meine Kirche, der die weltweite Gemeinschaft wichtig ist mit ihren vielen kulturellen Ausformungen.

Außer Philippi und Korinth ist mir Athen wichtig. Dort hat Paulus eine Rede an die Athener gehalten. Der Evangelist Lukas hat sie komponiert.

Paulus spricht in dieser Rede mit großem Respekt von den religiösen Überzeugungen der Griechen. Gleichzeitig lädt er zum Dialog mit dem ihnen unbekannten Gott Jesu Christi ein. Was mir daran gefällt: Paulus will nicht Recht haben und den Andern ihren Glauben absprechen. Er lädt ein nachzudenken.

Zwar winken sie ab, als Paulus von der Auferstehung Jesu spricht. Natürlich! Sie glauben, dass beim Tod Seele und Leib sich trennen. Der Leib verwest, die Seele lebt fort. Paulus spricht nicht von Trennung, er denkt an Verwandlung. Den Kindern erkläre ich das mit der unscheinbaren Raupe, die sich in einen wunderbaren Schmetterling verwandelt. Zurück bleibt die leere Raupenhülle, ähnlich dem Leichnam.

Offensichtlich ist dieser Gedanke den Athenern fern. Aber Paulus hat sie nachdenklich gemacht. Sie weisen ihn nicht ab, sondern sagen: „Darüber wollen wir dich ein anderes Mal hören.“

Hätte man sich in der weiteren Geschichte der Kirche an dieses Gesprächsmodell des Paulus gehalten, wären uns viele Glaubenskriege erspart geblieben. Statt darum zu streiten, wer den rechten Glauben hat und wer nicht, geht es doch damals wie heute darum, wie die Liebe recht gelebt wird. Gott ist ja Liebe nach der Botschaft Jesu und will nichts anderes als lieben.

Ich denke daran, wie wir Christen mit anderen Religionen umgehen, zum Beispiel mit den muslimischen Gläubigen. Herrschen da Achtung und Respekt? Fühlen sich Nichtchristen hier in unserem Land wohl? Es tut mir weh/Es schmerzt mich, wenn ein Türke, ein Syrer, ein Israeli oder ein Palästinenser sagt: „Ich habe Angst vor rechtsextremen Attacken.“ Früher hat er sich in Deutschland sicher gefühlt, jetzt nicht mehr.

Paulus sagt im 1. Korintherbrief: „Es bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Am größten aber ist die Liebe.“ Die Liebe respektiert den Andern in seinem Anderssein. Sie freut sich, dass der Andere anders denkt, fühlt und glaubt. Sie sieht ihn nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung. So entdeckt sie, dass Gott viele Wege hat, sich uns Menschen zuzuwenden. Gottes Liebe ist nicht uniform, sondern vielfältig. Wie schön, wenn wir Deutsche diese Vielfalt mit den Menschen anderer Kulturen und Religionen leben und uns so gegenseitig bereichern.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30556
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