SWR3 Gedanken

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06MRZ2020
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Mein Mann und ich sind Schneeschuhwandern in den Alpen. Auf unserer Wanderroute müssen wir auch einen Gletscher überqueren. Das habe ich schon öfter gemacht und denke mir nichts weiter dabei. Als wir am Gletscherrand ankommen, packt mein Mann die Ausrüstung aus. Ich ziehe den Klettergurt an, hake den Karabiner ein und mein Mann befestigt das Seil an mir. Am Seil muss man deshalb gehen, damit man nicht zu tief in eine schneebedeckte Gletscherspalte stürzt. „Du gehst voraus!“ sagt mein Mann dann. 

Damit hatte ich nicht gerechnet und bekomme Angst. Zwar habe ich schon mehrere Male in einer Seilschaft Gletscher überquert, aber noch nie eine Seilschaft angeführt. Wer die Seilschaft anführt, übernimmt Verantwortung für die Gruppe. Er muss den sichersten Weg über den Gletscher finden, ohne allzu große Umwege zu machen. Erstmal ist mir gar nicht wohl dabei. Ich würde am liebsten die Tour abbrechen und umkehren. Vor meinem inneren Auge sehe ich mich schon in einer Gletscherspalte hängen. Die diffusen Lichtverhältnisse machen mir außerdem die Sicht schwer. Ich kann kaum die Konturen im Schnee erkennen. Ich muss also höllisch aufpassen. 

Mein Mann versucht mich zu beruhigen. Er erklärt mir den Weg und macht mir Mut. Ich schließe kurz die Augen, fasse all meinen Mut zusammen und marschiere los. Nach den ersten Metern legt sich meine Anspannung. Ich werde ruhiger und selbstsicherer. Mein Blick nach hinten zeigt mir, mein Mann vertraut mir. Er läuft exakt in meiner Spur. Jetzt fängt es an, Spaß zu machen. Als wir am anderen Ende des Gletschers ankommen, bin ich richtig gut drauf. 

Im Nachhinein bin ich froh, dass ich mich getraut habe. Das Erlebnis auf dem Gletscher hat mein Selbstbewusstsein gestärkt. Es hat mir gezeigt, dass es sich lohnt, die eigenen Ängste anzupacken. Das habe ich mir auch für den Alltag vorgenommen. Denn Angst habe ich da auch hin und wieder: Zum Beispiel, wenn ich vor vielen Leuten sprechen muss oder ein ernstes Gespräch mit meinem Chef ansteht. In Situationen wie diesen sage ich mir jetzt: „Auf geht’s! Nur Mut!“ Und dann schaffe ich´s.

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