SWR4 Abendgedanken

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06MRZ2020
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„Glaube nicht alles, was du denkst und fühlst.“ Dieser Satz steht ganz groß auf dem Werbeschild einer Lebensberaterin. Ich laufe mehrmals die Woche daran vorbei und lese immer wieder diesen einen Satz. „Glaube nicht alles, was du denkst und fühlst.“

Aber warum eigentlich nicht? Was meine Menschenkenntnis angeht, konnte ich mich bisher ganz gut auf mein Bauchgefühl verlassen. Besonders, wenn es mal Streit gibt und ich meinem Gefühl folge, ob ich nun etwas anspreche oder erst einmal auf Distanz gehe. Meistens klappt das ganz gut. Warum sollte ich also meinen Gedanken und meinen Gefühlen misstrauen? Warum sollte ich nicht daran glauben, was ich denke und fühle?

Ich frage eine Bekannte, die Psychologin ist. Sie erklärt mir, dass unser Hirn sich in Stresssituationen sehr schnell entscheiden muss. Und damit DAS auch wirklich schnell genug klappt, kann es natürlich nicht alles abwägen oder neue Erkenntnisse mit einbeziehen. Daher verlässt sich unser Hirn einfach auf das, was es bisher so erlebt hat. Etwas vereinfacht gesagt: Es verwendet dabei gerne alte Schubladen.

Der Klassiker dafür: Ein Streit in der Partnerschaft. Wenn ich mit meinem Mann streite, dann kocht es natürlich auch mal hoch. Und dann geht es viel schneller und einfacher, ihn beim Streitgespräch in eine Schublade zu stecken und zu denken: „Jaja, ich weiß doch ganz genau, was der schon wieder denkt.“ Statt mir die Zeit zu nehmen, um ihm zuzuhören und zu verstehen, was er eigentlich gerade denkt und fühlt. Auf diese Weise finden wir natürlich keine gemeinsame Lösung. Denn ich kenne ja nicht die Sicht meines Mannes, sondern nur meine.

Und dann glaube ich nur das, was ICH denke und fühle. Und bewege mich im Kreis. Mit mir selbst. Ich erfahre dabei nichts Neues von meinem Mann. Weder über das was er denkt, noch über das, was er fühlt, wenn wir streiten.

Aber das Gute ist: Nach einem Streit habe ich die Chance, mir Zeit zu nehmen, um nachzufragen und mir anzuhören, was denn mein Mann denkt und fühlt. Und meistens verstehe ich ihn dann und wir können gemeinsam eine Lösung finden.

Auch in Zukunft werde ich nicht auf mein Bauchgefühl verzichten. Denn es hat schon so viel gefühlt, gedacht und erlebt und schon viele gute Entscheidungen in meinem Leben getroffen. Aber ich bin nicht nur ein Bauchmensch, sondern auch ein Beziehungsmensch und deshalb weiß ich: Es ist genauso wichtig zu hören, was der Andere denkt und fühlt.

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